Gehen wir von der ursprünglichen Idee hinter dem Begriff „Demokratie“ aus, dann dürfen alle eines Volkes mitbestimmen über das Gemeinwohl und das, was die Gemeinschaft betrifft. Gute Idee – und völlig klar, warum Feminismus an dieser Stelle so wichtig ist: Zu diesen „allen“ müssen Frauen gehören.
Ganz unbedingt! Das war in der griechischen Antike, der sogenannten Wiege der Demokratie, anders … Frauen, Sklavinnen und Sklaven als auch Menschen ohne Bürgerstatus – das waren oft Gastarbeiter – waren keine Bürger (hier brauchen wir das maskuline Nomen!!). Sie hatten somit keine Stimme.
Über Demokratie und die Notwendigkeit des Feminismus sprechen Barbara Streidl und Katrin Rönicke, anlässlich des neuen Böll-Themenhefts „Demokratie braucht Feminismus„. Dazu passt die Gedankenwelt von Hannah Arendt, die in ihrem posthum veröffentlichten Buch „Die Freiheit, frei zu sein“, ganz klar fordert, dass öffentliches Engagement zum Menschsein – und zur Freiheit – zwingend gehört. Es geht in dieser Sendung um den Film „Female Pleasure„, der zwar erst im November in unsere Kinos kommt, aber schon Großes verspricht – Katrin hat ihn gesehen. Barbara empfiehlt den Roman „Die Gabe“ von Naomi Alderman, der ein schönes „Was wäre wenn Frauen an der Macht wären“-Bild zeigt, und daran geknüpft wird die Frage diskutiert, ob Frauen auch zu Machtmissbrauch neigen: Danach hatte eine Hörerin gefragt – und mit ihrer Frage den Finger auf ein wichtiges Thema gelegt.
Links und Hintergründe:
- Zum Film „Female pleasure“ ein Interview im Deutschlandfunk
- „Demokratie braucht Feminismus“ – Themen-Heft der Heinrich-Böll-Stiftung
- Buchtipp: Jürgen Wiebicke, „Zehn Regeln für Demokratieretter“
- Buchtipp: Charlotte Wiedemann, „Von dem Versuch, nicht weiß zu schreiben“
- Buchtipp: Hannah Arendt, „Die Freiheit, frei zu sein“
- Über Hannah Arendts Buch im Deutschlandfunk
- Buchtipp: Eva Illouz, „Warum Liebe weg tut“
- Buchtipp: Yascha Mounk, „Der Zerfall der Demokratie“
- Schweden setzt auf Feminismus (hinter perspective-daily-Paywall)
- Buchtipp dazu von Shannon D. Beebe, „Unsere beste Waffe ist keine Waffe“ und der versprochene Hinweis auf Agnieszka Brugger und dann noch auf Christine Buchholz, um auch eine Linke zu nennen
- Dossier über Frauen in der rechtsextremen Szene
- Interview mit Extremisforscherin Renate Bitzan
- Buchtipp: Naomi Alderman „Die Gabe“
- Über Naomi Aldermans Buch „Die Gabe“ im Deutschlandfunk und im NDR
- Podcast „Blaupause“ bei Audible auch zum Thema „The future is female“
- Anti-Preis „Die Saure Gurke“
- Anti-Preis „Der Zornige Kaktus“
Was es nicht in die Sendung geschafft hat, aber dennoch spannend ist:
- Universität in Tokyo verschlechtert absichtlich Prüfungsergebnisse von Frauen – und das mit der Begründung, es sei ein „notwendiges Übel“, weil die Frauen ja schwanger werden können
- Nachrufe in der New York Times sind seltenst nicht männlich oder nicht weiß
- Über die Gerichtsreporterin Gabriele Tergit (hinter ZEIT-Paywall)
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Ich habe letztens ein Buch gelesen mit dem Titel: „Geschlecht und Temperament in drei primitiven Gesellschaften“, dessen Inhalt ich einmal teilen möchte.
Es wurde 1963 von einer Ethnologin geschrieben, die in Neuguinea bei drei Urvölkern lebte. Sie wollte dort eigentlich mit dem Zweck forschen, natürliche Temperamentsunterschiede zwischen den Geschlechtern festzustellen, kam aber zu einem ganz anderen Ergebnis. Bei den ersten beiden Stämmen waren Männer und Frauen nach dem gleichen Temperamentsmuster geprägt, allerdings in unterschiedlichem Sinne. Bei den „Arapesh“ waren das Persönlichkeitsideal Güte, Freundlichkeit und kein starkes sexuelles Verlangen. Bei den „Mundugumor“ war es Machtstreben, Ehrgeiz und sexuelle Aktivität. Also unsere Stereotype von „weiblichen“ und „männlichen“ Eigenschaften.
Bei dem dritten Stamm waren unsere Stereotype ähnlich, aber auf den Kopf gestellt. Die Frauen waren der sachliche, lenkende Teil, die Männer der weniger verantwortliche, gefühlsmäßig abhängigere. Die Frauen verdienten Geld mit ihrer Arbeit, die Männer tobten sich in Kunst und Theater aus.
Hieraus zog Margaret Mead eine Schlussfolgerung, welche ich selbst jetzt, über 50 Jahre später, immer noch nicht als selbstverständlich in unserer Gesellschaft sehe: „Wenn das für gewöhnlich Frauen zugeschriebene Naturell (Passivität, Zartgefühl, Mütterlichkeit) in einem Stamm ohne weiteres als Muster männlichen Verhaltens, in einem anderen als für Frau und Mann in gleichem Maße unzulässig gelten kann, besteht überhaupt kein Grund mehr, derartige Verhaltensweisen für geschlechtsbedingt zu halten.“
Am liebsten wäre es mir, wenn alle einmal dieses Buch lesen würden.
Macht weiter so!
Liebe Joana,
entschuldige die Verzögerung meiner Antwort, ich war in Ferien. Du meinst dieses Buch:
https://www.zvab.com/Jugend-Sexualit%C3%A4t-primitiven-Gesellschaften-Band-Geschlecht/14644809589/buch
Vielleicht wäre im Zuge dessen Margaret Mead überhaupt mal ein Thema für uns – danke für den Hinweis!
Sind Frauen die besseren Menschen? Diese These irritiert mich immer ein bisschen. Denn meines Erachtens schreibt sie gesellschaftlich konstruierte Geschlechterrollen fort, so wie sie Joana in ihrem Kommentar beschrieben hat. Die traurige Tatsache ist doch, dass Frauen bisher in der Weltgeschichte einfach relativ wenig Gelegenheit hatten, Macht auszuüben. Das beginnt sich zum Glück zu ändern. Dabei wird für mich aber auch überaus deutlich, dass Frauen nicht per sé sozialer, mitfühlender, weniger machtbesessen sind als Männer. Ich arbeite in einem großen Unternehmen und habe dort diverse weibliche Führungskräfte erlebt. Ich kann nur sagen: Ja, auch Frauen können es genießen, Macht auszuüben, und auch Frauen können Macht missbrauchen. Genauso gibt es Männer, die nicht nach Macht streben oder mit dieser verantwortlich umgehen.
Ich habe „Die Gabe“ noch ungelesen bei mir liegen, weil ich zwischen meinen (gefühlt) tausend Büchern noch nicht dazu gekommen bin.
Ich versuche aber mal meine allgemeine Meinung zum Thema Machtverhältnisse in Worte zu fassen: Ich glaube auch, dass Frauen sehr wohl Macht missbrauchen können. Wenn allerdings jetzt, ganz plötzlich, die Situation umgekehrt wäre, würde das nicht so häufig passieren und eine Ausnahme bleiben. Ich glaube nämlich, dass die Erfahrungen und die Sozialisierung der Frauen nicht ausgeblendet werden können. Es gibt so viele Frauen, die sich sogar jetzt immer wieder glühend vor Männer schmeißen und sie mit Leidenschaft verteidigen (sicher auch, um zu gefallen). Die Wichtigkeit von Empathie und das Umsorgen werden uns von klein an beigebracht… darum glaube ich, dass sofort Organisationen von Frauen für Männer entstehen würden und die, die ihre Macht missbrauchen wahnsinnig geächtet wären.
Wären die Machtverhältnisse allerdings schon immer (oder zumindest sehr lange Zeit) umgekehrt gewesen, dann könnte ich mir gut vorstellen, dass es ähnlich ist wie jetzt, nur eben mit „Geschlechtertausch“.
Und dann würden auch eher Frauen rechts wählen, denn rechts würde heißen, dass sie ihre Macht behalten und stärken können und dass die fremden, ausländischen Frauen ihnen nicht ihre Männer und Jobs wegnehmen. 😉
Ich bin da jedenfalls sehr bei Barbara, wenn sie sagt, dass Menschen einfache Antworten mögen. Das erklärt vielleicht auch ein bisschen, warum es Youtuber mit großer Gefolgschaft gibt, die erklären, warum Frauen die westliche Welt und ganze Zivilisationen zerstören, wenn man ihnen sexuelle Selbstbestimmung zugesteht und warum diese „manipulativen und intriganten Wesen“ immer die falsche Entscheidung treffen, wenn sie selbst wählen dürfen und das dann auch noch teilweise von Frauen wohlwollend kommentiert wird (obwohl da sicher auch einige Männer mit einem weiblichen Fakeprofil dabei sind).
Macht abgeben ist eben auch irgendwie einfach und ich bin immer wieder überrascht und ein bisschen traurig darüber, wie viele Frauen noch nach einem „Versorger“ suchen, der sie absichert.
Nach der Diskussion über „ältere Frauen“ der Hinweis, auf Spotify hörten v.a. neuerdings auch mehr „jüngere Frauen“ 😉
Wie alt ist man denn als junge Frau?
Super Folge, viele gute Gedanken zum Weiterbewegen drin.
öhm – jünger als ich! 😀
Zum Thema ältere Frauen noch mal der Hinweis auf den Text von Charlotte Wiedemann im Böll-Heft, daraus dieses Zitat:
„Es soll einer jeden überlassen bleiben, ab wann sie sich als älter verstehen möchte. (Ich bin 63; wann, wenn nicht jetzt, wäre «älter»?) Und schon sind wir mitten im Thema. Viele Frauen schieben die Anerkennung ihres Alters so lange hinaus, bis sie ihnen aufgezwungen wird. Sie können ihr Ältersein dann nur als eine Niederlage erleben – als den Moment, in dem sie den Widerstand aufgeben müssen, weil er zwecklos geworden ist. Es bleibt ihnen nur übrig, sich zu unterwerfen; sie betreten das Ältersein nicht erhobenen Hauptes, sondern unsicher und gedemütigt.“
https://www.boell.de/de/2018/06/29/selbstbewusst-und-radikal-ab-sechzig?dimension1=bt_feminismus
Hi, ab 00:26:30 sagst du „auf der internationalen Ebene, zum Beispiel bei der UN wird dann einfach von Gender geredet, Gender Politics, Genderequality, und die wenigsten würden sich dann auf so einer Ebene trauen zu sagen: „Äh, Feminists“ Ja, also es ist eine feministische Politik, die wir verfolgen.“
Ich habe eigentlich Gedacht, Feminismus ist ein Subset der Gender Politics. Und während Feminismus ja vor Allem die Frauen im Blick hat, kümmert sich Gender Politics zusätzlich noch um LGBT*-Themen.
Warum ist es da ein Problem im Rahmen der UN von Gender Politics zu sprechen?
Da würde ich widersprechen. LGBTI* gehört doch genauso
zu Feminismus. Es gibt in meinen Augen keinen wirklichen Unterschied, und ich sehe weltweit, dass Feminist_innen dem zustimmen würden. Wer redet denn ständig über Dinge wie cis- und trans-Gender?
aber es wäre von vielen Ländern und Machthabern tatsächlich zu viel verlangt, „feminist“ drauf zu schreiben. Das eint eine weltweite Bewegung, ja. Aber auf so hoher politischer Ebene gibt es noch zu viele Vorurteile oder auch tatsächlichen Antifeminismus. Also nennt man es Gender – das ist akademischer. Das ist meine These
Ah, okay, danke, ich kann nachvollziehen, dass Gender Politics viel schwammiger ist und auch Antifeministische Politik da untergebracht werden kann.
So ganz wohl fühle ich mich mit dem Begriff Feminismus da aber auch nicht. Themen um das Geschlecht sind natürlich alle Verwoben und gerade Trans Menschen sind da natürlich sehr Interessant, weil sie oft mit beiden Klischees konfrontiert wurden. Feminismus hätte ich mit LGBTI* nicht so richtig assoziiert und ich könnte mir vorstellen, dass es vielen anderen auch so geht.
Für euch ist Feminismus euer Ding, in das ihr verwandte Themen wie LGBTI* mit einordnet. Andersrum kann LGBTI* aber auch Feminismus enthalten. Und selbst LGBTI* wird teilweise kritisch gesehen, weshalb GSD (Gender and sexual diversity) als Alternative im Gespräch ist. Hoffentlich wird sich mit der Zeit ein Begriff heraus entwickeln, der allgemein so verstanden wird, wie wir ihn meinen.
PS: Da für euch LGBTI* zu Feminismus gehört, ich würde mich freuen wenn ihr im Lila Pocast öfter etwas dazu macht. =)
Ich finde, der Themenkomplex „Frauen und Machtmissbrauch“ kann nicht beantwortet werden, ohne über den Kapitalismus (nicht nur begriffen als bestimmte Wirtschaftsweise, sondern als Gesellschaftsform, in welcher aber die Sphäre der Ökonomie vorherrschend – vor Kultur, Politik etc. – ist) zu sprechen. Attribute wie „Passivität, Zartgefühl, Mütterlichkeit“ hat die Frau ja nur innerhalb dieser Gesellschaftsform übergestülpt bekommen, damit sie sich in einer so für sie konzipierten Rolle als sorgende und pflegende Person wiederfindet. Der Frau werden in einer patriarchalen und kapitalistischen Gesellschaft die Bereiche zugeteilt, die sich – ökonomisch gesprochen – „nicht rechnen“ und die deswegen auch nicht wichtig zu sein scheinen. So ward „die Frau“ mit den obigen Attributen erfunden, denn irgendwer muss sich ja um Nachwuchs und Dinge wie Haushalt etc. kümmern: alles Arbeiten, die in unserer Gesellschaftsform im ökonomischen Sinne keinen Gewinn bringen, und deswegen gilt bis heute, dass „man“ am liebsten gar nichts oder zumindest jedenfalls nicht viel für diese Arbeiten zahlen will. Nun kann man sagen, gibt es doch aber Frauen, die all das überwunden zu haben scheinen, aber auch sie – und das ist ja einer der Trigger dieses Podcasts – stoßen an gläserne Decken etc., die es zu überwinden gilt. Und immer bleibt die Frage: Wer putzt dann für diese im kapitalistischen Sinne erfolgreichen Frauen? Wer kümmert sich um die alternden Eltern und Großeltern usw. usf.?
Wenn wir nun davon ausgehen, dass es auch Frauen innerhalb des Kapitalismus gelingen kann, in bestimmte Machtzentralen zu gelangen oder gar Herrschaft auszuüben, dann müssen sie immer noch den Regeln der patriarchalen, kapitalistischen Gesellschaftsform folgen, in der wir leben. Ich würde nicht einmal sagen, dass Männer mit Macht generell zu Machtmissbrauch neigen, allein weil sie Männer sind, sondern ich würde sagen, das ist in eben dieser Gesellschaftsform angelegt, die bestimmte Verhaltensregeln/Normen/Werte etc. vorgibt und zum Beispiel auch bestimmte Arten von Machtmissbrauch nahelegt, weil beispielweise die davon zu erwartenden Vorteile größer sind als die Nachteile, weil die Chance groß ist, nicht erwischt oder für das Vergehen belangt zu werden, weil jene, die dieser Missbrauch trifft, für den/die Machtmissbrauchende/n nicht sichtbar sind bzw. von ihm/ihr leicht unsichtbar gemacht werden können, o.ä. Und diese Regeln und (kriminellen) Anreize gelten dann eben auch für Frauen. Wenn wir das Thema „Machtmissbrauch“ nicht innerhalb der Gesellschaftsform analysieren, in der wir leben, argumentieren wir schnell essentialistisch, denn wir fragen dann relativ kontextlos oder auch kulturalisierend danach, „wie (herrschende) Frauen und Männer sind“ und nicht danach, wie es eigentlich kommt, dass sie so und nicht anders handeln.
Ich fände es tatsächlich spannender, gerade diese Frage nach dem Machtmissbrauch utopischer (literarisch dann auch viel lieber eutopisch und nicht dystopisch) anzugehen. Denn wir wissen eigentlich nicht, wie „die Frauen“ oder wie „die Männer“ , wie LGBTI*, also wie wir alle als Menschen eigentlich wären, müssten wir nicht innerhalb der vorgegebenen Spielregeln dieser patriarchal-kapitalistischen Gesellschaftsform funktionieren, um zu überleben oder um eben sogar ein gutes Leben zu haben. Ein Außerhalb gibt es momentan für kaum jemanden (ich würde sogar sagen: für niemanden). Das heißt aber nicht, dass es nicht auch andere Spielregeln geben könnte. Könnte eine Gesellschaftsform zumindest imaginiert werden, in welcher Machtmissbrauch einfach keinem Menschen etwas bringt, also keine Vorteile, keine positiven Anreize für die/den, die/der Macht missbraucht? Vielleicht würde sich dann die Frage nach einem eventuell geschlechterspezifischen Machtmissbrauch erübrigen?
Ich habe Naomi Aldermans „Die Gabe“ noch nicht gelesen, ich habe aber im Vorfeld schon etwas Angst vor einer doch zu simpel gestellten Frage und Antwort, auch durch die Art, wie ihr darüber gesprochen habt (überzeuge mich aber gern lesend irgendwann vom Gegenteil!). Momentan lese ich Marge Piercys „Frau am Abgrund der Zeit“ und finde da gerade Fragen und Antworten, die mich persönlich ein gutes Stück voranbringen bezüglich der mich interessierenden Frage, wie wir und innerhalb welcher möglichen Gesellschaftsform wir dazu gebracht werden könnten, vorwiegend gut zu handeln, und das bedeutet für mich: Wie bekommen wir es hin, miteinander zu leben, ohne die Würde eines anderen Menschen zu verletzen, ob gewollt oder ungewollt. Ich glaube aber, dass wir uns dann gedanklich nicht mehr innerhalb des Kapitalismus bewegen.