Lila 069 Gespräch mit Zonenkind

Heute senden Barbara und Susanne mal miteinander! Denn Barbara, geboren in der bayrischen Vorstadt, hat „Zonenkinder“ von Jana Hensel nach 15 Jahren noch mal neu gelesen und hat plötzlich ganz viele Fragen an Susanne, die in Ost-Berlin geboren ist.

Was hat den Alltag bestimmt? War Mädchensein oder Jungesein etwas anderes als in Westdeutschland? Wie sah das Frauenbild aus? Galt nur die Berufstätigkeit von Frauen etwas oder auch ihre Hausfrauenqualitäten?

Ein persönliches Gespräch zwischen den zwei Moderatorinnen, deren Freundschaft lustigerweise in genau dem Jahr begann, in dem Zonenkinder erschien.

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Susanne Klingner
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Barbara Streidl
Intro: CC-BY-NC-ND ProleteR “April Showers” http://proleter.bandcamp.com/

 

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14 thoughts on “Lila 069 Gespräch mit Zonenkind”

  1. Hallo,

    ich habe ein paar Ergänzungen aus meiner DDR-Kinder- und Jugendzeit: in der Schule wurde an zwei Stellen gegendert: im Sportunterricht waren die Anforderungen für die Jungs höher, als für die Mädchen, es gab getrennte Notenspiegel. Und in der zehnten Klasse gab es einige Tage Wehrerziehung, die Mädels bekamen die Rolle der Lazarett-Schwester, die Jungs die Soldatenrolle. Alles nur in Vorbereitung und ohne scharfe Waffe/Spritze, aber in deutlicher Trennung.

    Für die Mütter gab es einen Tag pro Monat „frei“, der „Haushaltstag“ hat bei Wikipedia einen eigenen Artikel.

    Bei Scheidungen gab es kein gemeinsames Sorgerecht bzw. eine damit verbundene geteilte Betreuung, die Kinder blieben nahezu immer bei der Mutter, der Vater durfte die Rolle des Unterhaltszahler übernehmen und mit Zustimmung der Mutter alle 14 Tage mal seine Kinder sehen. Väter bekamen nur das Sorgerecht nur in Ausnahmefällen: politisch unzuverlässig, Alkoholsucht oder ähnliches, aber ggf. kamen die Kinder dann eher ins Heim.

    Eine feministische Einschätzung der obigen Punkte wage ich mir nicht anzumaßen, ich fand das Wehrerziehungslager und den Vaterentzug ziemlich Schei….

    Gruß
    Christoph

  2. Liebe Barbara & Susanne,
    hab Euch gespannt zugehört. Ich bin aus dem Westen, war bei der Wende 14 und wie bei Barbara war mein Leben davon im Grunde nicht tangiert.
    Nun habe ich aber einen sehr guten Freund. 50, DDR-Pfarrerssohn und heute selber Pfarrer für einen Haufen winziger Gemeinden in Thüringen. Der erzählt mir, wie in der 2. Klasse die Lehrerin fragte, was er werden wolle. Er sagte: Pfarrer. Daraufhin sie: Bis du mal groß bist, gibt es keine Kirche mehr. So etwas brauchen wir nicht. Er erinnert eine andauernde Angst, trotz behütetem Elternhaus. Er erzählt mir von den Bausoldaten und wie sie da einen Organisten so lang gequält haben, bis der nicht mehr spielen konnte. Er erzählt mir aber auch, dass sie etwas anderes wollten als Kapitalismus, dass nicht alles schlecht war, so banal sich das anhöre. Und heute predigt er gegen den Haß, die Nazis, die Angst. Beerdigt welche, die ihn zu anderen Zeiten verhaftet hätten. Hält irgendwie die Stellung in einer Gegend, in der viele sich verloren und abgehängt fühlen.
    Ich lege das dazu. Weil mir diese andere Wahrheit sehr nahe geht. Vielleicht hattet Ihr sie vorausgesetzt und ich habe es nur überhört.

  3. Liebe Susanne & Barbara,
    Ich bin auch in Ostberlin aufgewachsen (in der Zehdenicker Straße) , war aber beim Mauerfall schon 18 Jahre alt.
    Zur Chancengleichheit für Mädchen und Jungen kann ich folgendes erzählen: meine ältere Schwester wollte nach dem Abitur ein Studium beginnen, hat aber keinen Studienplatz in ihrem Wunschfach bekommen, es gab dann „Umlenkungsgespräche“, in denen sie davon überzeugt werden sollte, Lehrerin zu werden. Unser (subjektiver) Eindruck war, dass eher die Männer die Fächer studieren konnten, die sie wollten, aber das auch erst, nachdem sie „freiwillig“ 3 Jahre Armeedienst abgeleistet hatten …
    Ich habe dann gar kein Abitur mehr angestrebt, sondern gleich eine Ausbildung in einem frauentypischen Beruf angefangen …
    Bin auch sehr dankbar, dass es die Wende gab, weil ich auch nicht weiß, wie ich mich in diesem System sonst positioniert hätte.
    Lebe schon lange in Westdeutschland, aber die deutsch-deutsche Geschichte ist in unserer Familie oft präsent. Unsere Kinder wundern sich ab und zu, wie wenig ihre Mitschüler über diese Dinge wissen. Stark beschäftigt hat mich in den letzten Jahren auch das Thema, wie in der DDR mit Kritik umgegangen wurde, in welchem Ausmaß Menschen bespitzelt und in Angst und Schrecken versetzt wurden. Es schockt mich immer wieder, dass all das passiert ist, während man davon nichts oder fast nichts mitbekommen hat; was Menschen anderen Menschen angetan haben, weil sie meinten, es wäre für die Durchsetzung der herrschenden Ideologie ganz in Ordnung, das zu tun.
    Gut zu lesen dazu (auch für Jugendliche): von Grit Poppe das Buch „Schuld“.
    Ich hatte auch eine schöne und behütete Kindheit (ohne allzu viel Ordnung und Akkuratesse), aber all diese schrecklichen Dinge sind ja genau in dieser Zeit auch geschehen…
    Danke für den schönen Beitrag,
    Doris

    1. Hallo Doris,

      wie lustig, dass du auch in der Zehdenicker Straße gelebt hast! Wir wohnten in der Nummer 11. Und das ist ein interessanter Aspekt, den du da schreibst, dass es die Geschlechterklischees bei der Berufswahl von Staatsseite dann doch immer noch gab. Wie Barbara in unserem Gespräch sagte: Die Menschen, egal ob Ost oder West, kamen dann doch alle aus der gleichen Suppe.
      Und so wie du dich seit ’89 über die vielen Grausamkeiten erschrickst, so ging es mir auch – auch was Frau Auge in ihrem Kommentar schreibt, das war ja alles da, aber man hat es, wenn man mal was mitbekommen hat, das irgendwie wegschieben können als „Das sind so radikale Spinner…“
      Das erschrickt mich im Hinblick auf heute auch am meisten. Weil das ja eine Taktik ist, die z.B. Putin und Erdogan seit Jahren erfolgreich anwenden. Und jetzt scheint hier in den USA auch Trump damit bei seinen Anhängern ziemlich gut damit durchzukommen…

      Na ja, ich schweife ab.
      Viele Grüße! Susanne

  4. Hallo Susanne,

    Ja, warum sind die „einfachen“ Antworten bei manchen so beliebt ? auch gerade im Osten, wo man es eigentlich schätzen sollte, dass es jetzt wirkliche Wahlen gibt und in den Zeitungen über alles berichtet werden darf …

    Wir wohnten in Nr. 16, also wohl genau gegenüber, das ist wirklich lustig …
    Vorderhaus, 1. Etage, Anfang der 80iger wurden an diesem Hau die Balkone abgeschlagen, da sie zu baufällig waren … Ab da wohnten wir dann eben ohne Balkon, mein Vater reparierte mal die Fenster selber, weil es sehr zog im Winter.

    Es war aber trotzdem eine schöne Zeit, ich erinnere mich an einen tollen Zusammenhalt in der Nachbarschaft, da einige alleinerziehende Mütter dort wohnten, auf deren kleine Kinder ich als Teenie öfter aufpasste.
    Mit diesen Frauen ist meine Mutter bis heute befreundet, obwohl sie deutlich jünger sind als sie und alle schon seit langem ganz woanders wohnen.
    Meine Mutter war auch immer berufstätig, allerdings in Teilzeit, was sie bewusst gewählt hatte und was ging, da sie ja nicht alleinerziehend war.

    Lustig finde ich das Frauenbild in manchen DDR Kinderliedern, z.B.
    „Meine Mutti ist Abteilungsleiter“ oder „Wenn Mutti früh zur Arbeit geht“, da kommen nie Väter drin vor. Meine Tochter (12) meinte mal dazu: „Komische Emanzipation“.
    Wahrscheinlich spiegeln diese Lieder auch die kulturelle Prägung derer, die sie gemacht haben.
    Letztlich gab es auch in der DDR wahrscheinlich viele verschiedene Familienmodelle, es gab sicher auch schon Männer, die im Haushalt halfen.

    Ich erinnere mich auf jeden Fall an viele selbstbewusste Frauen, die untereinander sehr solidarisch waren. Meiner Meinung nach aber deshalb, weil sie es so wollten, nicht, weil es ihnen irgendwie verordnet worden war.
    Vielleicht lag es an der Abwesenheit jeglichen Wettbewerbs?
    Und jetzt, in dieser sehr wettbewerbsorientierten Zeit suchen manche dann vielleicht nach sehr einfachen Antworten…

    Viele Grüße
    Doris

  5. Ich möchte noch einen Buchtipp hier lassen, „Zuhause“, das neue Buch von Daniel Schreiber, das über eine sehr schreckliche ostdeutsche Kindheit geht. Dieses andere war da. Er hat es als Kind schon kennen gelernt. Und für ihn war der Mauerfall die Rettung.

  6. Schön zu hören, dass ihr auch Bernadette La Hengst kennt. 🙂

    Ich bin übrigens im Westen aber im „Zonenrandgebiet“ aufgewachsen. Da habe ich dann die DDR in der Kindheit eher über das Fernsehen erfahren. Da gab es Sonntags immer gute Märchen oder auch „Mach mit mach’s nach mach’s besser“.

  7. Gerade habe ich auf Zeit Online einen sehr berührenden Text von Daniel Schreiber gelesen, der auch ein bisschen hierher passt: http://www.zeit.de/kultur/literatur/2017-02/daniel-schreiber-zuhause-kindheit-schwul-mecklenburg-vorpommern/komplettansicht

    Es ist ein Auszug aus seinem Buch „Zuhause“, und in diesem Auszug denkt er über seine Kindheit als schwuler Junge in Mecklenburg-Vorpommern nach. In einem grundsätzlichen Absatz fässt er das Grundproblem zwischen DDR als Staat und der eigentlichen Individualität von Kindern gut zusammen:

    „Kinder waren im Allgemeinen Opfer einer staatlichen Planung, die festlegte, wie sie zu sein hatten. Man wollte ihnen vorschreiben, wie sie zu denken und zu sprechen haben, man wollte gewährleisten, dass sie einen vorgesehenen, am Reißbrett entworfenen Platz in der Gesellschaft anstreben, ja dass sie sich eine andere Lebensperspektive nicht einmal in ihrer Phantasie ausmalen. Jede Form von Andersartigkeit war eine Bedrohung für das System.“

  8. Ich darf als 1988er Westkind vermutlich über den Osten nichts sagen, tu es aber trotzdem.
    Erstmal gabs die DDR bei uns zu Hause faktisch nicht, ich erinnere mich daran meinen Papa beim Zugfahren über die Schulter geschaut zu haben um Stern-schlagzeilen zu lesen (ich konnte gerade so lesen) und das ich gefragt habe „Papa, was ist ein Wessi?“, aber an die Antwort erinnere ich mich nicht.
    In der Schule war das ein Thema im Geschichtsunterricht, dass nach einem 7/8 Jahr „Drittes Reich“ kurz vor den Sommerferien kurz angeschnitten wurde.

    Mit 16 (also 2004) hatte ich dann aber meinen ersten Freund der aus „weit hinter Pirna irgendwo im Wald“ kam und der bei der Wende 7 war. Und plötzlich gabs in meinem Kopf die DDR. Ich war dann ein paar Mal dort und schwer beeindruckt. Von leerstehenden Häusern und von Menschen, die mit Gemüsegarten, Nachbarschaftshilfe und handwerklichem Geschickt quasi-autark leben.

    Von meinem Freund habe ich dann Nachwende-geschichten der düstersten Art gehört, Heroin das aus dem Westen kam, Erwachsene die mit sich und dem System überfordert waren, und Teenager die sich die leeren Gebäude angeeignet haben und sich mit den Drogen jahrelang selbst überlassen waren…

    Seit 2012 wohne ich selbst im Osten (in Halle). Bin immernoch erstaunt darüber, wie sehr das hier Thema ist, und genauso erstaunt darüber wie sehr das im Westen kein Thema ist.

  9. Ich bin in einer schwäbischen Provinz aufgewachsen und habe 15 Jahre in einer ostdeutschen Großstadt gelebt und studiert. Als ich das Thema Eures Podcast „Gespräch mit Zonenkind“ gelesen habe, dachte ich: „Oh nein, nicht das Ost-West-Thema“. Ich bin 1997 in den Osten gezogen, mit einer gewissen Naivität, Offenheit, Interesse und auch Mut im Gepäck. Was aus diesen Jahren bleibt ist ehrlich gesagt ein Ostalgie-Burnout und die Erfahrung, dass es viele Vorurteile zwischen Ost und West gibt und wenig Offenheit, Interesse an der unterschiedlichen Sozialisation ect. Während meines Studiums habe ich ein Seminar in Erinnerung, das ich auch aus Solidarität mit den Frauen aus meiner Familie verlassen habe, weil es mit so viel Missgunst und Vorurteilen Westdeutscher Frauen gegenüber gespickt war, dass ich es nicht mehr aushalten konnte (die wollen nicht arbeiten gehen, lassen sich von Männern aushalten, kümmern sich nur um ihr Äußeres ect.). Ein wirklicher Austausch war nicht möglich (wie erging es Frauen in der DDR durch die Doppelrolle Haushalt und Beruf, was war die Alltagsrealität von Frauen in Westdeutschland, warum gab es keine Kinderbetreuung im Westen oder auch was verbindet uns ect.). Und diese Pauschalverurteilung ist sowieso kaum auszuhalten.
    Ich habe mich vor allem in den ersten Jahren dort als Eindringling gefühlt und bin natürlich mit meinem schwäbischen Dialekt sofort aufgefallen.
    Was ich Euch eigentlich sagen möchte: Vielen Dank für den sehr interessanten und gelungenen Austausch!

  10. Hallo, ich freue mich immer wieder darauf euch beim Weg zur Arbeit zuzuhören. Ich finde es gut, das ihr Männer nicht ausgrenzt aus der Thematik und habe durch euch immer mal wieder aus meiner eigenen begrenzten Perspektive raus schauen können.

    Eine „kleine“ (vielleicht auch gar nicht so kleine) Frage. Ich würde meiner Freundin zum Geburtstag gerne ein Buch mit feministischen Themen schenken. Ich weiß aber nicht welches. Ich habe das Gefühl das sie oft an sich selbst zweifelt und sich vielleicht auch manchmal nicht traut auszusprechen was in ihr vor sich geht.

    und ich weiß das sie grundsätzlich eine große Begeisterung für das Thema hegt, aber noch keine Bücher hat.

    Was wäre eurer Meinung nach ein guter Einstieg? Was weckt den inneren Kampfgeist oder stärkt auch einfach nur das Bewusstsein das es viele Arten gibt eine Frau zu sein (und viele arten von Stärke)

    Zur Zeit lese ich selbst ein Buch von Margarete Stokowski, welches ich großartig finde, aber eben auch unglaublich „rotzig“ und sehr, sehr unverblümt. Das ist als Anfang vielleicht.. eventuell ein bisschen zu viel.

    1. mal ganz unverblümte Eigenwerbung, weil du unsere Art ja magst: „Wir Alphamädchen“, das unter anderem Barbara und Susanne geschrieben haben und von mir „Bitte freimachen“. es sind alles wenig rotzige, freundliche Bücher. Gerade auch meins zielt sehr auf weibliche Selbstzweifel ab, weil mein eigenes Leben voll davon war. und ich schreibe sie auf und wie ich Lösungen gesucht und gefunden habe 🙂

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