Lila091 Sexarbeit und sexueller Feminismus – mit Ilan Stephani

Ilan Stephani ist Sexarbeiterin gewesen. Das ist lange her. Sie hat dabei so viel gelernt, dass sie 2017 ein Buch darüber herausgebracht hat. In „Lieb und teuer“ seziert sie die Vorstellungen über Sex in unserer Gesellschaft, die Macht & (Doppel-) Moral.

Eigentlich ist sie aus einer Mischung aus Neugier und Protest in der Sexarbeit gelandet, mit all den Vorurteilen, die auch viele andere in der Gesellschaft über Prostitution, Bordelle und Freier haben. Damals lernte Ilan Stephani so viel über das Leben, unsere Geschlechterbeziehungen, die Sehnsüchte, Sex und Macht, dass es sie auch zehn Jahre später noch umgetrieben hat und schließlich hat sie ein Buch geschrieben, in dem ihre Erfahrungen nachgelesen werden können.

Katrin hat Ilan einen Besuch abgestattet und mit ihr lange, ausführlich und sehr tief über Dreidimensionalität, Sozialisation, Befreiung, Patriarchat, Gewalt, Vorurteile, Rollen und vieles mehr gesprochen.

Links und Hintergründe

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50 thoughts on “Lila091 Sexarbeit und sexueller Feminismus – mit Ilan Stephani”

  1. Was für ein tolles Interview! Ich glaub, das muss ich direkt nochmal anhören, da waren ein paar sehr zitierwürdige Sätze für meinen Netzfunde-Post am Samstag drin. 😀

    Liebe Grüße und vielen Dank
    Sabrina

  2. Das ist mal wieder eine so so tolle und spannende Folge! Habt ganz herzlichen Dank dafür. Das ist jedes Mal wieder Balsam für die Seele und den Kopf 🙂

  3. Die Sendung war, wie immer, wundervoll und extrem interessant. Dafür danke ich euch sehr.
    Von Anfang an habe ich die Ilan Stephani sehr gut verstehen können, wie z.B. 2D und 3D zu denken und zu sehen. Ich war mit ihr in allem einverstanden, bis sie auf einmal meinte dass es zwischen Männer und Frauen keinen wahren Unterschied gibt. Es ist zwar richtig, dass Gesellschaft und Kultur uns so sehr beeinflussen, dass wir nicht mal wissen wie wir uns ohne deren Begrenzung verhalten oder fühlen würden. Aber wissenschaftlisch gesehen, sind Männer und Frauen schon wenige Monate nach der Geburt anders. Das wurde durch Verhaltensexperimente auf Babies bewiesen. Dadurch hat man feststellen können, warum Mädchen normalerweise lieber mit Puppen usw spielen, während Jungs normalerweise lieber mit beweglichen Dingen wie Autos usw spielen.
    Nochmal vielem lieben Dank für eure tolle Arbeit! Ich werde euch gerne unterstützten.
    Lg

    1. „Dadurch hat man feststellen können, warum Mädchen normalerweise lieber mit Puppen usw spielen, während Jungs normalerweise lieber mit beweglichen Dingen wie Autos usw spielen.“

      Und warum? Welche „Verhaltensexperimente “ waren das?
      Ehrlich gesagt glaube ich, dass diese sehr leicht widerlegbar sind.

      1. Es könnte sein, dass unter anderem dieses Experiment gemeint ist:
        https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0163638300000321
        Hier wurden ca 100 Babies direkt nach der Geburt getestet
        https://link.springer.com/article/10.1007/s10508-008-9430-1
        Hier wurden Babies Monate nach der Geburt getestet
        Es geht in aller Regel nicht direkt darum, womit Mädchen und Jungen später spielen, sondern es wird getestet ob bereits kurz nach der Geburt geschlechtsspezifische Präferenzen (bei Babies vor allem im Blickverhalten, da sonst schwer etwas zu messen ist) vorhanden sind. Das scheint der Fall zu sein. Babies kurz nach der Geburt können noch nicht allzu viel sozialisiert worden sein, daher nimmt man an, dass diese Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Babies angeboren sind.

        Ich weiß aber natürlich nicht, welche Untersuchungen Karin genau gemeint hat.

        1. Vielen dank an RikeTheMiddlist, dafür dass er/sie Links und Erklärungen an meiner Stelle geschrieben hat. Ich bestätige ihre/seine Worte und entschuldige mich dafür, dass ich mir nicht selber die Zeit dafür genommen habe.
          Leider konnte ich im Laufe meines Lebens meine Meinung, was die Unterschiede zwischen Männern und Frauen angeht, niemals ändern. Falls die Wissenschaft eines Tages bestätigen wird, dass ich hiermit falsch liege, werde ich gerne meine Meinung ändern.

          1. Hallo Karin,
            das sehr berühmt gewordene „Baby Experiment“ von Connellan und Cohen ist längst nicht so eindeutig ausgefallen:
            Wir sprechen da über 51% (m) vs 41% (w) eines länger andauernden Blicks auf ein Mobile.

            Das Experiment zeigt also lediglich, dass eine geringe Anzahl der 6 Monate alten Babys unterschiedliche Präferenzen hat (sofern man sich diese Aussage aufgrund von unterschiedlich langen Blickzeiten anmaßt) .

            Ich empfehle dazu Cordelia Fine – Die Geschlechterlüge

        2. Ohje, ich lese nur den Namen Baron-Cohen und weiß schon, in welche Richtung das geht…
          Und nein, die Babys können noch nicht zu sehr sozialisiert sein – aber die Menschen, die die Babys dort untersuchen sind es und das fließt in die Ergebnisse mit rein, wird aber ignoriert.

          1. Eine Studie ist tatsächlich von Baron-Cohen, die andere nicht. Soweit ich weiß, gibt es sowohl Studien, die das besagte Problem haben (die Versuchsleiter wussten welches Geschlecht die Babies hatten) als auch Studien, in denen das nicht der Fall war und das hat die Ergebnisse waren ähnlich.

    1. es geht um Dreidimensionalität und das ist vor allem ein Bild, eine Metapher. Es geht darum, dass Ilan versucht zu beschreiben, wie sie vorher durch Regeln, Erwartungen und Einschränkungen ihrer Selbst nicht alle Sinne, sich selbst entfalten konnte. In ihrem Bild: Sie war zwei-dimensional und erst durch ihre Entfaltung wurde sie dreidimensional.

  4. Danke für den großartigen Podcast. Ich dachte immer, ich habe meine männliche Sexualität im Griff, aber es ist tatsächlich so, wie ihr sagt.

  5. Danke für die Leseempfehlung. Ich kenne das Buch schon, aber ich mag leider keine Bücher von Autor(inn)en, die nur das schreiben und erklären, was zu ihrem Weltbild passt. Ich brauche keine Ideale, ich wünsche mir Fakten und Wahrheiten. Natürlich von beiden Seiten. Die einen behaupten das Eine, die anderen das Gegenteil. Alle sind sie mir zu parteiisch. Ich bevorzuge möglichst neutrale Berichte, die leider selten sind, da alle zu sehr auf den Gender-Krieg fixiert sind. Alle wollen Recht haben. Ich bleibe dabei lieber „Agnostiker“.

    Mich würde sehr interessieren, was Cordelia Find über Transsexuelle denkt. Wenn Frauen und Männer gleich sind und nur wegen ihres Umfelds (und wie sie aufgezogen worden sind) anders sind, dann sollten es per Logik keine Transsexuellen geben, die die ersten Jahre ihres Lebens in ihren Geschlechterrollen gefangen waren, da man sie von Anfang an so erzogen hat.
    Diese Personen leiden darunter so sehr, dass sie durch Operationen und Hormonbehandlungen gehen. Was alles andere als einfach ist. Manche begehen Suizid. Ich denke nicht, dass deren großes Elend exklusiv von der Umwelt abhängig ist. In einer perfekten Welt, in der es keine geschlechterspezifischen Rollenbilder gäbe, würden sie wahrscheinlich immer noch Hormonbehandlungen vorziehen wollen. Außerdem bräuchte man für so eine Welt nur noch bisexuelle Namen, die ein weiteres Problem verursachen.

    Ich empfehle Bücher von Autor(inn)en zu lesen, die mit DSD geboren sind. Sie schreiben nicht, wie die meisten, über ihre Ideale, sondern über ihre eigenen Gefühle und Erfahrungen. Sie sind Menschen, die wissen, was es heißt, in einer Zweigeschlechtergesellschaft aufzuwachsen.

  6. Sehr spannendes Interview mit neuen Denkanstößen für mich. Danke dafür 🙂

    Sehr toll fand ich es, wie Ilan Stephani im Grunde für jeden Menschen Verständnis aufbringt, ohne sie dabei von Verantwortung frei zu sprechen. Man kann Vieles erklären und dann auch mehr oder weniger verstehen, aber das heißt noch lange nicht, dass Dinge, die geschehen sind, oder Zustände, die herrschen, ok sind.

    Gestört haben mich dann aber doch so einige Aussagen, die mir wie Pauschalisierungen vorkamen. Als würde Ilan ihre Erfahrungen und ihre Gefühlswelt und die Art und Weise, wie sie selbst so funktioniert, zur Schablone für alles und alle andere machen. Bis zu einem gewissen Grad machen wir das natürlich alle und können auch gar nicht anders – wir können ja nur bei uns selbst anfangen.

    Schon das 2D-3D-Bild fand ich schwierig. Das implizierte für mich, als gäbe es eine vollständigere (richtigere, bessere – Ilans) Weise, mit dem eigenen Körper umzugehen bzw. ihn zu sehen, und fast alle (besonders Männer) hängen auf dem beschränkten 2D-Level rum – nur sie eben nicht.
    Dementsprechend fand ich dann auch die „alle Männer sind unglücklich“-Aussage viel zu oberflächlich-defizitär. Ich werde das Gefühl nicht los, dass Ilan von den Männern, denen sie als Hure (ich hoffe, das ist auch als Fremdbezeichnung ok) und denen sie in missglückten Beziehungen begegnet ist, auf alle anderen schließt. Ich sehe um mich rum eigentlich sehr viele Menschen – Männer und Frauen -, die mir ziemlich glücklich zu sein scheinen und das auch, wenn ich sie tiefer kennenlerne. Und viele sind auch mit ihrem Sexualleben glücklich oder zumindest nicht frustriert. Viele auf der Suche, die ja gerade spannend ist.

    Manche Aussagen klangen für mich auch ein bisschen zu… esoterisch? Mit dem eigenen Körper in Einklang kommen und so… das war mir dann zu unkonkret, um das als die inhaltsreiche Aussage zu verstehen, die ich bei Ilan annehme.

    Nichtsdestotrotz (oder gerade wegen meiner Probleme) ein tolles Interview! Besonders strukturelle Blick auf die Gesellschaft hat mir sehr gut gefallen – da haben wir wirklich noch einen weiten Weg vor uns.

    1. Die Aussagen darüber dass alle Männer unglücklich sind, sind mir auch negativ aufgefallen. Ilan ist offenbar nicht bewusst, dass sie natürlich eine besteimmte Negativauslese an Männern gesehen hat. Das hat ungefähr den Wert von einem Kardiologen, der sagt, „Alle Menschen haben Herzprobleme“. Nö, die meisten Menschen, die zu einem Kardiologen gehen, haben Herzprobleme, bevor sie zum Kardiologen gegangen sind.
      Ein Mann, der entweder in einer sexuell erfüllten Beziehung (oder auch in mehreren) lebt oder in der Hinsicht einfach keinen besonderen Druck verspürt wird wohl kaum zu einer Prostituierten/Hure gehen, weil gar kein Bedarf besteht. Gleichzeitig gibt es garantiert auch Männer, die zwar sexuell unglücklich sind, aber aus moralischen, finanziellen, religiösen oder Schamgründen keine Huren besuchen – deren Probleme kann Ilan ebenfalls nicht erfasst haben.

      Ich weiß auch noch nicht so richtig, was ich mit dem Interview machen soll. Klar ist es interessant, aber letztendlich ist das der subjektive, momentane Eindruck einer einzigen Person, die grade mal über 30 ist (nichts gegen junge Menschen – ich bin noch jünger als Ilan – aber es ist durchaus möglich, dass sich ihre Meinung noch ändert, wenn sie weitere Erfahrungen sammelt). Dagegen ist per se gar nichts einzuwenden, außer dass weder Ilan noch die Podcasthosts mal darauf hingewiesen haben und Ilan schon ohne viele Gedanken daran zu verschwenden, welche Erfahrungen sie eigentlich gemacht hat und welche nicht und wie verallgemeinerbar ihre Aussagen eigentlich sind, ziemlich umfassende Statements abgibt.

      1. ich antworte zuerst einmal hier:
        eine Bekannte von mir hat lange in einer Psychiatrie gearbeitet, in der Neurologie. als sie dort gearbeitet hat, war für sie klar, dass Drogen das Gehirn kaputt machen, sie hat ja immer diese Leute gesehen!
        so ist das bei vielen Berufen und so habe ich die Beschreibung von Ilan auch empfunden.
        Hinzu kommt aber, dass es sich mit dem deckt, was ich als Person und auch Feministin sehe. Dass es in vieler Hinsicht schwierig ist, dem gesellschaftlich (vor allem medial) dargestellten Ideal von Männlichkeit (im Sexuellen) zu entsprechen.
        ich habe die Sendung beim Vorbereiten ja noch einmal gehört und außer diesem Vorwurf, dass sie verallgemeinert – und selbst das empfand ich nicht als störend, aber vermutlich weil in meinem Kopf klar war: das sagt sie über DIE Männer, die damals bei ihr waren (vielleicht war mir auch einfach ihr Buch noch zu präsent im Kopf), geht es ja darum, was SIE im Puff über das Leben gelernt hat.
        und das ist – dachte ich – hier der klare Frame der Sendung.
        ich nehme aber einfach mal mit, dass ich das beim nächsten Mal klarer mache.

  7. Hallo, danke für dieses äußerst spannende Interview.
    Es war sehr interessant und meines Erachtens eure beste Folge! (zumindest von denen, die ich kenne)
    Manchmal habe ich gedacht, dass eure Sendungen etwas mehr… Naja, Substanz und Tiefe vertragen könnten. Das hat diese Folge mehr als geschafft.
    Man muss nicht mit allem übereinstimmen, was Ilan sagt, aber es es regt sehr zum nachdenken an! Und in vielen Dingen stimme ich ihr zu. Danke.

  8. Hallo,
    ich finde es sehr spannend, dass viele hier die Folge so positiv bewerten. Bisher schätzte ich an eurem Podcast, dass ihr sehr lebensnah, irgendwie fundiert, konkret und reflektiert seid. Mit der Interviewpartnerin diesmal hatte ich jedoch enorme Probleme. Vielleicht habt ihr persönlich einen Hang zur Esoterik, anders kann ich mir gar nicht vorstellen, warum man diese Person überhaupt interviewt. Sie ist eine Esoterikin durch und durch. Die Vermischung esoterischer Konzepte mit gesellschaftlichen und feministischen Thesen fand ich hochproblematisch. Wer sich in der esoterischen Logik von „Trauma“ bewegt, kann natürlich alle möglichen Theorien aufstellen und sie mit menschlicher Sexualität in Zusammenhang setzen. Für mich als wissenschaftsorientierter Mensch war dem nur schwer zuzuhören. Problematisch fand ich insbesondere die absolute Darstellung ihrer Ansichten. Sie relativierte ihre Erfahrungen im Puff nicht, stellte sie nicht als ihre persönliche Erfahrung dar, sondern verallgemeinerte munter drauf los. Dass Prostitution im Allgemeinen so aussieht, wie sie es erlebt hat, wage ich sehr zu bezweifeln. Es war ein besonderes Milieu, eben ein Edelpuff, der von einer Frau geleitet wurde. Auch von Männern, die sie dort kennengelernt hat, auf alle Männer und ihre Sexualität zu schließen, finde ich schwierig. Insgesamt hätte ich mir viel mehr kritische Nachfragen von eurer Seite gewünscht. In manchen langen Monologen fehlte aus meiner Sicht der rote Faden komplett. Ich habe irgendwie die Hoffnung, dass diese esoterische Reise ein einmaliger Trip war…

    1. Ich habe das Interview auch so empfunden und war ebenfalls überrascht über die vielen positiven Kommentare. Beruhigend, dass ich mit meiner Meinung nicht allein stehe;)

    2. Ilan Stephani ist definitiv eine astreine Esoterikerin, (oder wie sie es ausdrückt „Heilpraktikerin für Psychotherapie“ und „Beraterin für Bioelektrische Gesundheit“ (Kopf -> Tisch) ) Bei ihrer Website rollen sich mir die Fußnägel auf, der Podcast war wirklich nur die Spitze des Eisberges:

      Zitate:
      „Mit anderen Worten: Unsere Inkarnation IST unsere Transzendenz.“

      „Ich vermittele in den Coachings zum #WasserWeg individuell angepasste KörperMeditationen und Übungen, die die Pole aus Inkarnation und Transzendenz sanft wieder vereinigen können.“

      „Denn nicht die Welt um uns herum muss sich verwandeln, damit wir ur-vertrauen können, sondern unsere Art und Weise, die Welt zu erleben“ (tolles Statement für eine Feministin, die Welt (und implizit der Sexismus in der Welt) ist ok, wir nehmen sie nur falsch war, klasse)

      und natürlich der alte Esoterik-Klassiker
      „Was wir an Anderen verurteilen, verurteilen wir in Wahrheit an uns selbst. Wenn wir negativ denken, kreieren wir eine negative Welt. Und solange wir uns selbst nicht lieben können – wie soll es jemand von Außen können? “

      Sie bieten unter anderem Kurse mit dem „Joni-Ei“ (einem eiförmien Stück Jade) für mehr sexuelle Energie und weibliche Austrahlung an – dazu fällt einem denkenden Menschen dann auch nichts mehr ein.
      Oder einen anderen Kurs „Cash and Flow“ in dem es irgendwie darum geht dass Frauen durch mehr Selbstwert mehr Geld bekommen (wohlgemerkt nicht indem sie härter verhandeln oder so, das würde ja eventuell sogar Sinn machen). Für die Kurse wird jede Menge Geld genommen, denn wie alle Esoteriker ist Ilan eine knallharte Geschäftsfrau nur mit jede Menge weiblich weichen Getue und Chakren drum rum.

      Ist aber halt einfach ein (trauriger) Fakt, dass viele Frauen da drauf stehen und meistens wenig hinterfragt wird wenn es nur irgendwie der „Selbstfindung mit weiblicher Urkraft“ dient und frau sich hinterher irgendwie besser fühlt oder so. Dieser Podcast ist nicht der einzige feministische „venue“ wo Esoterik eine Rolle spielt, wobei es hier tatsächlich in der Drastik das erste Mal war und ich auch nicht weiß, ob den hosts das bewusst war. Ich war allerdings nicht besonders überrascht darüber, dass Esoteriker hier eingeladen werden, einfach weil bei Feminismus irgendwie öfter mal sowas zumindest nur wenige Klicks entfernt ist, wenn nicht gleich mitgeliefert wird.
      Im Moment geht Esoterik bei Frauen halt einfach auch gut und ist gesellschaftlich generell sehr akzeptiert. Das schlimme ist, nicht mal eine naturwissenschaftliche Ausbildung scheint dagegen anzukommen, meine Mit-Promotionsstudentinnen (in Neurowissenschaft) verzichten auch auf „Chemie“ und erzählen wenn man sie auf ihre Chakrenbücher anspricht, dass ja nicht alle Wissen auf plausiblen Theorien beruhen muss. Was Esoterik grade bei Frauen angeht, habe ich irgendwie ziemlich die Hoffnung aufgegeben zumal skeptische Gruppen meistens eher von Männern besetzt sind was viele Frauen auch erstmal abzuschrecken scheint.

      1. „Dieser Podcast ist nicht der einzige feministische “venue” wo Esoterik eine Rolle spielt, wobei es hier tatsächlich in der Drastik das erste Mal war und ich auch nicht weiß, ob den hosts das bewusst war. Ich war allerdings nicht besonders überrascht darüber, dass Esoteriker hier eingeladen werden, einfach weil bei Feminismus irgendwie öfter mal sowas zumindest nur wenige Klicks entfernt ist, wenn nicht gleich mitgeliefert wird.“

        diese Unterstellung empfinde ich als Ohrfeige und ich frage mich auch, warum du dann eigentlich hier zuhörst.

        davon ab: ich habe mir Ilans Seite im Gegensatz zu dir nicht angesehen.
        ich habe ihr Buch gelesen, ich habe gelesen, was sie bei den Krautreportern geschrieben hat (oder sind die auch nur wenige Klicks davon entfernt?) und mit der Co-Autorin und Journalistin Theresa Bäuerlein drüber gesprochen. so viel zu dem Hintergrund, den ich hatte, als ich dort ankam.
        dass dort esoterische Machenschaften am Werk sein könnten, merkte ich erst dort. War mir aber dann auch egal, weil ich Leuten ihren Glauben lassen kann (und hier wusste ich auch gar nicht, was dieser Glaube ist) und weil ich in meinem Leben gelernt habe, dass selbst Leute, die den esoterischen Weg gehen, was zu sagen haben können.
        Wäre es in diesem Gespräch nun so gewesen, dass sie mir völlig esoterischen Quatsch angedreht hätte, der keinen bezug zur Realität hat und mit dem, was wir sonst so wissen (aus Soziologie, Psychologie, Sexualwissenschaft usw…) nicht vereinbar wäre, hätte ich sicher was gesagt.
        Mein Eindruck war (aber ich lasse mich da gerne korrigieren), dass sie oft andere Worte und Metaphern gewählt hat (die ich schon versucht habe einzuordnen, oder?), aber in der Sache und vom Inhalt wüsste ich jetzt nicht, wo der große Skandal in dieser Sendung liegen sollte.
        wie gesagt: vorausgesetzt man nimmt den Frame an, von dem ich weiter oben sprach.
        LG

        1. Ich glaube, was genau ich damit meine, dass Feminismus und Esoterik oft nicht weit auseinander liegen, ist hier schwer zu beschreiben, ich meinte damit auch eher „Alle Feministischen Aktionen und Outlets, die ich kenne“ weniger diesen Podcast, den ich bisher was das betrifft ziemlich erträglich fand. Vielleicht schreibe ich da mal eine längere Mail zu. Ich habe halt oft den Eindruck bestimmte Dinge, für die Frauen gerne Geld ausgeben werden im Feminismus gern zugelassen, zum Teil aktiv gefördert oder zumindest nicht weiter kritisiert und als Naturwissenschaflerin und Skeptikerin ist das zum Teil schon anstrengend.

          Ich habe mir den Krautreporter-Text auch angeschaut und ich finde es schon erstaunlich dass da so gar nicht drüber gesprochen wird, wer Ilan Stephani eigentlich ist. Es ist natürlich ihr gutes Recht Bücher zu schreiben und jeder der will kann über sie berichten. Ihre Erfahrung im Puff sind meiner Meinung nach tatsächlich Wert erzählt zu werden, da es außergewöhnliche Erfahrungen sind, die nicht jeder hat und schon allein deshalb sind sie interessant.

          Nun ist aber außerdem so, dass außer ihrem Buch ihr Geld damit verdient höchst fragwürdige Dinge zu verkaufen (ganz böse gesagt, sie zieht den Leuten (ihrer Webseite nach vor allem Frauen und z.T. Paaren) mit erfundenem Unsinn das Geld aus der Tasche). Zum Teil bewegt sich das in einem Rahmen, der in Deutschland leider ziemlich gesellschaftsfähig ist (Heilpraktikertum), zum Teil ist es aber einfach noch deutlich verschwurbelter (und potentiell gefährlich) wie die Sache mit dem Jadeei. Meiner Ansicht nach hätte schon Krautreporter mal darauf hinweisen müssen, wer Ilan Stephani eigentlich ist und was sie so macht seit sie keine Hure mehr ist, da es sich deutlich mehr handelt als z.B. bei einer Person die an Weihnachten in einen Gottesdienst geht oder gelegentlich mal bei einer Erkältung Globuli nimmt. Da fällt für mich auch einen Satz wie „jemand den Glauben lassen“ flach. Es geht nicht darum, nur mit Leuten zu sprechen, die 100% alles nach den neuesten Erkenntnissen der Wissenschaft ausrichten, das gibt es ohnehin nicht. Aber es besteht für mich schon ein Unterschied ob jemand seinen Glauben hat und lebt, oder Leuten Geld dafür abkauft, damit sie ihr „Ektasekraftfeld“ entwickeln. Da bin ich nicht tolerant und stehe da auch zu – meiner Ansicht nach sind da viele Feministinnen aber ziemlich tolerant solange das irgendwie mit „altem Frauenwissen“ oder so garniert ist und das nervt mich gewaltig und ich weiß als Skeptikerin oft nicht wo ich da eigentlich stehen soll. Meiner Ansicht nach wäre es ziemlich notwendig sich deutlich von Esoterik und Alternativen Heilmethoden abzugrenzen, weil da vor allem Frauen Geld für Blödsinn abgezwickt wird.
          Ich habe da definitiv noch nicht alle Gedanken zu Ende gedacht, aber ich habe im Moment oft das Gefühl ich muss mich zwischen wissenschaftlichem Denken und Skepsis und Feminismus entscheiden, was sehr anstrengend ist, da beides zusammen möglich sein sollte. Ich hätte vermutlich einfach zu dem Thema nichts sagen sollen, weil es da um meine persönlichen Unbehaglichkeiten geht und ich noch keine klaren Aussagen dazu machen kann.

          Es kann aber auch sein, dass das weniger ein feministisches als ein progressives Problem ist und dass viele Menschen anderen ungern in ihre spirituelle Lebensgestaltung reinreden, was an sich völlig ok, ja sogar notwendig ist. Wenn es aber die Basis der Realität dermaßen verlässt geht es halt recht schnell in Hochstaplerei, Abzocke und Guruglauben über, was meiner Ansicht nach keinerlei Toleranz verdient.

          Es ist meiner Ansicht nach dennoch völlig legitim solche Stimmen auch anzuhören (wobei das „Wer sollte wem eine Bühne bieten“ ja im Moment eine interessante Debatte ist) , genauso wie zum Beispiel auch konservative Christen und Muslime, New Atheists und radikale Rechte und Linke in der Gesellschaft das Recht haben gehört zu werden, aber ich würde mir schon wünschen, dass Journalisten wie z.B. beim Krautreporter da mehr Sorgfalt walten lassen und ich mir nicht selbst zusammensuchen muss, aus welcher Ecke die Ansichten, die ich mir grade anhöre eigentlich kommen. Zu wissen, wie pseudowissenschaftlich Ilan Stephani unterwegs ist, hat aber für mich eine Aussagen, die sie im Interview getätigt hat, in ein anderes Licht gerückt. Ein gutes Beispiel wo die Einstellung einer Person eine große Rolle spielt aus der jüngeren Vergangenheit sind z.B. die Twilight-Bücher. Es wurde viel darüber berichtet wie merkwürdig die dort vertretenen Beziehungen sind und es ist meiner Ansicht nach schon relevant zu erwähnen dass Stephenie Meyers Mormonin war, weil das die Geschlechterrollen in ihren Büchern schon nochmal in ein anderes Licht rückt.
          Grade wenn eine Person nichts außer eigenen Erfahrungen vorzuweisen hat, muss ich als Hörer schon wissen, wie die Person tickt, um sich wirklich ein Bild zu machen.
          Ich muss mich auf jeden Fall bei dir entschuldigen, da meiner Ansicht nach, da nicht allein beim Podcast die Schuld zu suchen ist, sondern offenbar bei Ilan Stephani generell nicht so genau hingeschaut wird – warum auch immer. Es war also auf jeden Fall falsch, dass dem podcast anzulasten und das tut mir leid.

          1. ich bin in den meisten Punkten ja bei dir, das vorweg.
            und nein: du musst dich nicht bei mir entschuldigen, das ist ja auch quatsch. ich war nur sehr perplex von dieser doch sehr schwierigen Aussage, Esoterik sei nur ein paar Klicks vom Feminimus entfernt.

            ich hätte hier:
            „Zu wissen, wie pseudowissenschaftlich Ilan Stephani unterwegs ist, hat aber für mich eine Aussagen, die sie im Interview getätigt hat, in ein anderes Licht gerückt. Ein gutes Beispiel wo die Einstellung einer Person eine große Rolle spielt aus der jüngeren Vergangenheit sind z.B. die Twilight-Bücher.“
            gern ein Beispiel aus der Sendung. Die Debatte um Twilight ist mir hinreichend bekannt und dass in der Geschichte Prüderie und unterdrückte Sexualität eine klare Rolle spielen, war glaube ich auch schon bekannt, bevor bekannt wurde, WER das geschrieben hat. Sprich: auch hier ist eigentlich der problematische Inhalt das erste Problem – welches Bild von Weiblichkeit, Männlichkeit usw. wird vermittelt (bei Twilight fataler Weise ja auch an Teenager!)?
            und auch wenn ich sehe, dass du sehr wütend bist, dass Ilan mit allem was sie tut in dieser Sendung ist, fehlt mir immer noch der konkrete Grund. Welche Aussagen hat es in ein anderes Licht gerückt?

            Danke dir für deinen kritischen Blick!
            beste Grüße
            Katrin

      2. Ja, Ilan ist Esoterikerin. Das ahnt man, wenn man ihr Buch liest und das ist absolut offensichtlich, wenn man sich ihre Webseite anschaut. Deshalb war ich sehr gespannt auf den Lila Podcast mit ihr. Ich weiß, dass Kadda für sowas feine Antennen hat und fragte mich, wie sie damit umgehen würde. Und ich muss sagen, ich war sehr beeindruckt. Sie übersetzt das Geschwurbel in eine Sprache, die auch ich verstehe und auf eine Ebene, auf der ich bereit bin, Dinge zu diskutieren. Aber die Esoterik war ja nun wirklich nicht das Thema dieser Folge. Das Thema war Sexarbeit. Und was Ilan da zu sagen hat, ist eben nicht unwichtig im feministischen Diskurs.
        Der christliche Glaube ist ja nun auch Esoterik pur. Trotzdem käme es mir sehr sehr unprofessionell vor, wenn ich in meinem beruflichen Kontext immer erstmal prüfen würde, ob jemand praktizierender Christ ist, bevor ich mich mit dieser Person über die Performance von Apparat xy austausche. Weil es könnte ja sein, dass diese Person in ihrer Urteilsfähigkeit über physikalische Gegebenheiten eingeschränkt ist, weil sie an ein allmächtiges übergeordnetes Wesen glaubt.
        Wenn wir nicht mehr in der Lage sind, über ein Thema zu reden und andere Bereiche unserer Weltsicht dabei auszublenden, weil sie gerade einfach nichts zur Sache tun, dann müssen wir von nunan wohl schweigen.
        Kadda hat der Esoterik nun wirklch keine Bühne geboten. Sie hat mit Ilan über Sexarbeit gesprochen. Es wäre dem Gespräch und dem Thema nicht zuträglich gewesen, wenn man den Nebenschauplatz Esoterik aufgemacht hätte. Darum ging es in diesem Gespräch einfach nicht. Ja, Ilan verquickt Esoterik und Sexualität, ja, das merkt man auch in diesem Gespräch. Aber man kann Kadda nicht vorwerfen, dass sie dieser Verquickung zuviel Raum gegeben hätte. Was ich an Kaddas Podcasts (insbesondere den Interviewpodcasts) so schätze ist, dass sie den Leuten einen Raum gibt (tbh ich vermisse ja den Erscheinungsraum-Podcast). Natürlich birgt diese Art des Gesprächsführung das Risiko, dass dann Themen einen Raum bekommen, die man selbst vollkommen anders sieht. Aber so ist das nun mal in einer pluralistischen Gesellschaft. Das muss jede von uns aushalten können. Und in diesem konkreten Fall war es tatsächlich nur ein Seitenthema, was halt aufgrud von Ilans Biographie in das Thema der Sendung mit reinspielte. Aus meiner Sicht war es gegenüber den vielen anderen wichtigen Aspekten aber durchaus verschmerzbar.
        ICh halte die Behauptung, dass es „in dieser Drastik das erste mal war“, dass „Esoterik eine Rolle“ im feministischen Diskurs spielt, für absolut falsch. In Anbetracht der Tatsache, mit wem Kadda da sprach, war das Thema Esoterik angenehm wenig präsent. Ich war im Vorfeld wirklich skeptisch, weil ich Ilans Arbeit, ihre Webseite und ihren eigenen Podcast kenne. Aber wie auch in vielen anderen Bereichen meines Lebens stellte ich fest: Profis (und das sind sowohl Kadda als auch Ilan in diesem Kontext) schaffen es, nur Teilaspekte ihrer Persönlichkeit, nämlich die, die der aktuelle Kontext erfordert, zu betrachten.

        1. Naja, wenn Ilan’s Buch esoterisch ist, wie du ja selbst sagst, dann wurde hier definitiv der Esoterik eine Bühne geboten. Immerhin ist es wahrscheinlich, dass viele das Buch durch diesen Podcast bemerkt haben und dass die Kaufentscheidung des einen oder anderen beeinflusst wird.

          1. Nein, ich sage nicht, dass ihr Buch esoterisch ist. Man kann ahnen, dass Ilan Esoterikerin ist, wenn man das Buch liest.
            Und nochmal: die Konsequenz aus deiner Haltung wäre schlussendlich: wir reden nicht mehr miteinander, lernen nicht mehr voneinander, aus lauter Angst, damit potentiell jmd eine Bühne zu bieten, die in ihren Einstellungen nicht 100% zu unseren eigenen passt.
            Ich möchte in einer solchen Welt nicht leben. Ich höre Christen zu, ich höre radikalen Feministinnen zu, Menschen, die die CDU wählen,… So ist das nun mal in einer offenen Gesellschaft.

    3. Hallo Anne,
      dass Prostitution im Allgemeinen so aussieht, wie sie es erlebt hat, behauptet sie ja nirgends. Im Buch macht sie das auch nochmal deutlich.
      die Verallgemeinerungen sind nun ja schon öfters angesprochen wurden, aber offenbar kommt bei mir was anderes an, während sie so erzählt hat.
      für mich war der Frame von Anfang an klar. ich wäre nicht auf die Idee gekommen, zu interpretieren, dass sie ALLE Männer meint, meinen mit und überhaupt alle.
      für meine Ohren ging es hier um Männer, die ein bestimmtes Männlichkeitsideal haben, die eine Rolle spielen und das vor allem auch sexuell. als Feministin empfinde ich das nicht als esoterische Idee oder Spinnerei, sondern das ist beobachtbar! auch ganz unesoterisch.
      ich weiß nicht, was du mit „esoterischer Logik von Trauma“ meinst. wo kam das in der Sendung vor?
      für mich war nach dem Lesen des Buches nicht klar, dass Ilan esoterisch unterwegs ist. deswegen wollte ich mit ihr sprechen.
      als ich in ihre Praxis kam, wurde es mir schon klarer, aber ich habe mich dennoch auf das Gespräch eingelassen, denn ich wollte mit der Autorin dieses Buches über dieses Buch sprechen.
      Bei mir kommt dein und die beiden folgenden Kommentare so an, als wäre das unzulässig, weil Ilan esoterisch ist. aber hat sie deswegen nichts zu sagen, dem es zuzuhören lohnt?
      finde ich überhaupt nicht! ich habe ihr nicht nur gerne zugehört, sondern wirklich viele Dinge gelernt und neu auch für mich einsortieren können, die ich überhaupt nicht esotersich finde, oder die sich mit den Dingen decken, die ich für mein Sex-Buch selbst recherchiert habe.
      ich selbst bin (nicht mehr) esoterisch unterwegs, aber diese Welt ist mir nicht fremd. Seit 2017 reagiere ich jedoch sehr empfindlich auf „alternative Fakten“; auch, wenn sie aus dieser Ecke kommen. Während des Gesprächs ist mir an keiner Stelle so etwas aufgefallen, was nicht heißt, dass es mir nicht passiert wäre (kann schon sein, passiert in Interviews ja schon hin und wieder, dass man sich auch ärgert, irgendwo nicht kritischer nachgefragt zu haben), deswegen wüsste ich neben dem Vorwurf „die ist esoterisch“ und „die verallgemeinert“ (wie gesagt, sehe ich so nicht, ihr Frame ist eigentlich klar) WO genau, an welchem INHALTLICHEN Punkt das Problem eigentlich ist.

      1. Hallo Katrin,
        vielen Dank für deine Antwort! Ich finde es wirklich toll, dass du auf das eingehst, was ich geschrieben habe und dass du auch bei anderen auf die Kritik eingehst. In diesem Sinne hat die Folge ja wirklich einiges in uns bewegt. Ich muss auch sagen, dass ich auf diesem Gebiet absolut keine Expertin bin und mich was Fakten angeht, sehr gern eines besseren belehren lasse. Insofern war es vielleicht auch nur meine kleine Enttäuschung, dass es inhaltlich so dünn war, dass ich mich veranlasst sah, diesen Kommentar zu schreiben.
        Ich habe die Folge jetzt noch einmal im Detail gehört und viel darüber nachgedacht, was eigentlich mein Problem ist. Ich muss zugeben, Ilan ist eine ausgesprochen gute Rhetorikerin. Sie stellt sich als Expertin dar. Das hat sicherlich auch geschäftliche Gründe, schließlich will sie ja als solche auch wahrgenommen werden. Für mich äußert sich das vor allem darin, dass sie viele verallgemeinernde Thesen aufstellt. Es ist schwierig zu fassen, was ich eigentlich so problematisch finde. Ich will es hiermit nochmal im Detail versuchen:
        Ich habe beobachtet, was ihre Selbstfindungsgeschichte mit mir gemacht hat. Ich hatte hinterher irgendwie den unterschwelligen Eindruck „Ach, wenn das alles so korrekt läuft in den Puffs, dann ist doch alles supi. Dann könnte ich das ja auch mal irgendwann in Erwägung ziehen. Warum eigentlich nicht?“ Wenn sie erzählt, dass ihr Leben früher zweidimensional war und es seit der Zeit im Puff dreidimensional (=“frei“) ist, hinterlässt das bei mir irgendwie einen romantisierenden Eindruck, was die Sexarbeit angeht. Sie sagt, sie will keine Werbung machen, aber letztlich erzählt sie eine persönliche Selbstfindungs- und Befreiuungsgeschichte, die erst durch die Arbeit im Puff möglich wurde. Das bleibt natürlich beim Hörer nicht ohne Wirkung.
        Sie stellt das Bordell als Frauenwelt dar, in der sich die Freier vorher duschen müssen und irgendwie zahm ja fast ängstlich sind, weil sie nur von Frauen umgeben werden. Ich fände es okay, wenn sie vor Pauschalisierungen warnt und erzählt, dass es eben auch solche Puffs gibt. Das würde zeigen, dass es falsch ist, feste Bilder von solchen Einrichtungen zu haben, das fände ich okay, interessant und erhellend. Schließlich ist ein Abbau von Stereotypen und Vorurteilen immer ein Gewinn. Aber sie stellt es eben leider generalisierend dar: „Das ist die Realität von Sexarbeit, so sorry.“ Das finde ich problematisch, weil damit ein bedeutender Teil, wo es einfach nicht so rosig aussieht, ausgeklammert wird.
        Weiterhin stellt sie eine sehr steile These über die menschliche Sexualität auf, die mir eben doch eher an Esoterik als an Wissenschaft angelehnt erscheint. Sie baut darauf m. E. ihr gesamtes rhetorisches Konstrukt auf: „Ich sehe keinen einzigen sexuell kompetenten Menschen auf diesem Planeten. […] In Bezug auf Sex […] sind wir Lichtjahre von wirklicher Freiheit entfernt.“ Ich persönlich kann diese Thesen nicht nachvollziehen. Ich habe beispielsweise ein sehr erfülltes Sexleben und fühle mich frei. Wie kann sie so etwas behaupten? Worauf basiert solch eine These? Legt sie hier nicht einfach die Grundlage für die „Lösung“, die sie verkaufen will?
        In Bezug auf die Zweidimensionalität von Männern habe ich jetzt nochmal ganz genau hingehört. Sie redet wirklich nicht explizit von den Freiern, sondern von allen Männern, wenn sie sagt: „Männer sind in Bezug auf Sex extrem extrem extrem zweidimensional. […] Sie haben keine guten Orgasmen. […] Definitiv haben die Männer weniger sexuelles Erleben als Frauen.“ Dass ich solche Aussagen nicht unterschreiben kann, versteht sich von selbst. Es ist undifferenziert und extrem pauschalisierend. Wem nützt solch eine Aussage?
        Dann geht diese Argumentationskette weiter hin zu feministischen Begrifflichkeiten: „Das Patriarchat macht Männer zu den eigentlichen Verlierern im Bett.“ Diese These muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen…
        „Im Puff lernte ich zu sehen, dass Männer in einem sexuellen Elend leben, welches ebenso tief ist wie das weibliche. Es mag anders sein, als das weibliche Leiden und das weibliche sexuelle Trauma, aber es ist ebenso tief, ebenso tragisch und ebenso traurig.“ Ich kann mit solchen Aussagen offen gestanden überhaupt nichts anfangen. Das liegt vielleicht daran, dass es sich aus meiner Sicht dabei um reine Esoterik handelt. Was soll „das weibliche sexuelle Trauma“ sein? Ich habe nichts gegen Esoteriker, ich kann ihnen nur nicht folgen. Es sind für mich Worte ohne Sinn. Das ist alles…
        Insofern war ich einfach etwas enttäuscht von der inhaltlichen Leere der Folge und der undifferenzierten Thesen, die dort aufgestellt wurden. Ganz zu schweigen von der oben erwähnten Romantisierung, die ich so empfunden habe, was natürlich nicht bei allen Hörern so sein muss.
        Ich hoffe, ich konnte meinen Kommentar von gestern noch etwas besser unterlegen. Vielleicht haben wir ja etwas daraus mitgenommen. Das würde mich freuen. In jedem Fall schon mal vielen lieben Dank fürs Lesen meines kleines Pamphlets 🙂
        Viele Grüße

        1. Liebe Anne, ich habe vorhin eine laaaange Antwort angefangen und dann ist der Browser abgestürzt und weg war sie *heul*
          darin stand: vielen Dank für deine Mühe – dass du sogar noch einmal die Sendung angehört hast! Ich finde das zeugt von Respekt und genau den sollst du auch bekommen!
          Die von dir zitierten Stellen so aus dem Kontext heraus genommen zu lesen hat mich tatsächlich erschrocken. Also da fragt man sich ja schon, warum ich da nicht eingeschritten bin. An der Stelle, als sie sagt, dass Männer in Bezug auf Sex zweidimensional seien, keine guten Orgasmen haben usw… Bei Caitlin Moran habe ich da zB nachgefragt:

          „Ich finde, wir sollten Männern beibringen, wie man fickt – Frauen sollten Männern beibringen, wie man fickt. Denn wir sind viel komplexer! Also sagt SIE: Tu dies, tu das. – Wir sind komplexe Maschinen! WIR sollten die sein, die sagen, wo es langgeht. Wir können die ganze Nacht kommen. Wir haben eine viel bessere Phantasie. Wir sind fast schon cineastisch! Wir sind trippig und psychedelisch! Ich will all das aufschreiben!

          Sie sind ein bisschen sexistisch…

          (Lacht sehr laut und winkt mit breiter Geste ab) Das können die ab! Und die profitieren doch total!“

          und ich glaube das ist letztendlich das, worum es ja geht. (das ganze Interview findet man leider nur noch hier: http://web.archive.org/web/20170627161946/http://blog.katrin-roenicke.net/?p=3165#more-3165)
          aber vielleicht rede ich es mir auch bloß schön. das kann auch sein. Oder vielleicht projiziere ich zu sehr von meinen Erfahrungen (und den Geschichten von Freundinnen) in diese Debatte. Leider kenne ich selbst, aber auch andere Frauen diese – ich nenn’s jetzt mal – „prekäre männliche Sexualität“, die bei Sexualpartnern vorkommen kann. Wo man das Gefühl hat, die haben sich ihre Vorstellungen darüber, wie ein Mann tollen Sex hat, aus Pornos abgeschaut. und vielleicht lasse ich mich auf Ilans Aussage ein, die ja trotz allem einfach nur aus ihrer Erfahrung kommt – sie zitiert ja nirgends Studien oder so, es ist ja eigentlich das ganze Interview hindurch eigentlich klar: Ilans Erfahrungen sind die „Datenbasis“ – weil ich selber weniger Männer sexuell kennenlernen durfte, die ein gutes, freies sexuelles Bewusstsein hatten, und mehr Männer, die – liebevoll gesagt: verkorkst waren, strange oder kaputte Vorstellungen hatten, meistens wirklich aus Pornos. Aber zurück zu Sendung…

          Zu der Frage ob Ilan romantisiert: Ich denke nicht. Ich denke sie zeigt die eine Seite der Sexarbeit und ich lerne interessanter Weise immer nur diese Seite wirklich persönlich kennen (in feministischen kreisen lernt man in der Tat gar nicht wenige Sexarbeiterinnen kennen und diese sind in der Regel überhaupt keine Opfer) und sie bestätigen alle dieses Bild. Das bedeutet nicht, dass es nur das gibt. Aber es bedeutet eben, dass DIE PROSTITUTION an sich nicht das Problem sein kann. Weil: es geht ja auch anders. Also was läuft eigentlich schief, wenn es anderswo schlimme Zustände gibt?
          Es ist natürlich nicht verallgemeinerbar, aber sei ganz ehrlich: Wieviele solcher Positivgeschichten hast du schon gehört und wieviele, in denen Sexarbeit einfach nur als der pure Horror dargestellt wurde?
          Eleutheromanie sagt: Das Problem ist nicht die Prostitution, sondern die Armut. Das ist in meinen Augen ein wichtiger Punkt.
          Ein anderer ist aber sehr wohl die „toxische Maskulinität“, wie sie ja inzwischen auch in der wissenschaftlichen Debatte betrachtet wird. Und darum geht es ja Ilan hier auch.
          Ich habe ihre Worte nicht als eine Pauschalverallgemeinerung von Männern und Männlichkeit verstanden, aber da mag der Fehler wirklich bei mir liegen. Ich denke ihr liegt daran zu sagen, dass wir alle noch viel gewinnen können – Emanzipation eben auch im Bereich Sex – aber dass Frauen in gewisser Weise „weiter“ sind, als Männer. Das wäre auch durchaus meine These.

          Um einen anderen Eindruck aus der Prostitution zu bekommen, wie krass das abgehen kann – hier ein Link, aber ich MUSS eine Triggerwarnung vorweg schicken, weil es wirklich extrem gewaltvolle Schilderungen darin gibt. https://huschkemau.de/2016/09/09/der-freier-warum-maenner-zu-prostituierten-gehen-und-was-sie-ueber-diese-denken/
          wenn man DAS liest, verliert man doch irgendwie jeden guten Glauben – wieviele Frauen gibt es denn, die sich so gegenüber anderen verhalten?

          Überhaupt: Es ist ja nicht zu bestreiten, dass vor allem Männer die Kunden sind, Frauen seltener. Und da liegt es ja nahe, zu schauen, was in der Sexualität der Männer „anders“ ist, dass sie so viel mehr zu Sexarbeiterinnen gehen, als Frauen zu Sexarbeitern (oder auch -innen).
          Ich würde außerdem gern einen Text verlinken, ein Interview mit einem Soziologen in der FR, der untersucht hat, warum Männer zu Sexarbeiterinnen gehen. Aber die Seite ist der Grund, warum mein Browser gecrasht ist vorhin, da ist irgendeine Werbung wohl mit bösartigem Code versehen… deswegen lasse ich das jetzt.
          Es war jedenfalls ein Interview mit Udo Gerheim, der hat ein ganzes Buch zu diesem Thema geschrieben: http://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-1758-0/die-produktion-des-freiers und den habe ich damals auch für meine Sex-Buch-Recherche gelesen.

          „Auf der Grundlage von 20 Interviews mit Freiern liegt erstmals eine bestechende soziologische Studie zu einem zentralen – aber bislang kaum beachteten – Aspekt der Produktion heterosexueller männlicher Normalität und des Begehrens im Kontext von käuflicher Sexualität vor.“

          Wenn man das einmal gelesen hat weiß man, dass das was Ilan im Podcast da alles erzählt, nicht so falsch ist. In der taz ist noch ein Text von ihm, aber das verkürzt die ganze Sache natürlich:
          http://www.taz.de/Archiv-Suche/!5053744&s=Udo+Gerheim/
          daraus:

          „Ebenso ist festzustellen, dass viele Motive eine Prostituierte aufzusuchen, sich aus leidbesetzten Lebensumständen speisen. Weil man noch nie Sex oder eine Freundin gehabt hat und denkt, deshalb kein vollwertiger Mann zu sein. Weil man einsam ist, weil eine Beziehung kaputt ging, weil man in der Partnerschaft sexuell unerfüllt bleibt und nicht weiß, wie das in der Beziehung angesprochen werden kann. Weil man sich im monogamen Korsett sexuelle Abwechslung wünscht oder auf der Jagd nach sexuellem Kapital – wie viel, wie oft, wie abgefahren – bei Konkurrenzkämpfen unter Männern nicht mehr den Kürzeren ziehen will.“

          und weiter:

          „Einerseits ist die Prostitution in ihrer geschlechtsspezifischen und geschlechtshierarchischen Struktur als epochenübergreifendes, männliches Privilegiensystem zu verstehen, welches Männern einen garantierten Zugriff auf die weibliche Sexualität sichert.“

          also auch der Forscher, der sich ja genau mit den Freiern befasst, sieht hier eine bestimmte hegemoniale Männlichkeit sich in der Sexualität ausdrücken und das ist auch, was ich von Ilan mitgenommen habe. Was sie darüber hinaus sagt, ist dass diese aber den Männern selbst auch schadet und das finde ich eigentlich das Spannende an der Sache. Tatsächlich wäre ja die Frage: Warum gehen Männer denn zu Prostituierten, wenn ihr sexuelles Erleben, um deine Worte zu benutzen „sehr erfüllt und frei“ ist?

          Also: ich verstehe – auch wenn ich hier jetzt die ganze Zeit im Grunde gegen dich argumentiere – deine Skepsis total und auch dass dir diese Aussagen aufstoßen. So für sich genommen sind sie wirklich zu pauschal. Ich kann mir meine „Nachsichtigkeit“ während der Sendung einfach nur dadurch erklären, dass zumindest für mich eigentlich die ganze Zeit total klar war: Ilan berichtet hier über ihre Erfahrungen und nichts sonst; das ist subjektiv. Und dann kam dazu, dass ihre Erfahrungen sich mit vielem deckten, was ich selbst entweder in der Beschäftigung mit dem Thema auch selbst schon gelernt habe (auch aus der Wissenschaft, oder durch die Gespräche mit einer Sexualtherapeutin, mit der ich (Daumen drücken, dass es klappt!) hoffentlich mein nächstes Buch schreiben werde. Und am Ende aber eben auch mein eigenes Erleben sich darin spiegelte – in dir resoniert es nicht (und ich vermute, man sollte dir dafür wirklich gratulieren) aber in mir sehr.

          Und das alles ist dann eben diese Sendung. Und es schmerzt mich schon ein wenig, dass sie dich offenbar so enttäuscht hat.
          Aber es ist sehr schön, wie wir hier diskutieren, ich nehme tatsächlich daraus viel mit.

          Danke dir und schönen Abend!
          Katrin

          1. Erstmal vielen Dank für die Sendung, den Podcast und die Diskussion hier!

            Ich könnte sehr viel zu der Folge schreiben (die ich auch noch ein zweites mal gehört habe, einerseits wegen der Diskussion hier andererseits weil ich bei bestimmten Aussagen Ilans so heftig zustimmen musste). Die angerissenen Themen sind alle sehr komplex, die Prostitutionsfrage allen voran. Allerdings muss auch ich sagen, dass Ilans Aussagen teilweise wirklich auch kritisch finde, da doch recht offensichtlich ist aus meiner Sicht, dass sie teilweise den Bereich dessen was ich Empirie geleitetes, logisch konsequentes Denken nennen würde verlässt.

            Ein Aspekt den ich noch herausgreifen wollte ist folgender:
            „Überhaupt: Es ist ja nicht zu bestreiten, dass vor allem Männer die Kunden sind, Frauen seltener. Und da liegt es ja nahe, zu schauen, was in der Sexualität der Männer “anders” ist, dass sie so viel mehr zu Sexarbeiterinnen gehen, als Frauen zu Sexarbeitern (oder auch -innen).“

            Ich glaube diese Frage kann man nicht nur von der Sexualität der Kunden ausgehend beantworten, denn diese Individuen sind Teil einer Marktstruktur bzw. einer Attraktivitätsstruktur. Udo Gerheim schreibt es in der Taz: Es gibt die übergriffigen, gewalttätigen Freier, aber ein signifikanter Teil will einfach Körperlichkeit erleben, und ist höchstwahrscheinlich vom „Markt“ ausgeschlossen bzw. kann die eigenen Bedürfnisse schlicht nicht am Markt befriedigen.
            Aus meiner Sicht ist es, zumindest anekdotisch, recht offensichtlich, dass das Bedürfnis was Prostitution befriedigen kann, unverbindlicher Sex ohne Beziehung, einerseits von Frauen weniger nachgefragt wird aber auch im Prinzip in vielen Fällen jederzeit kostenlos befriedigt werden könnte, da genügend Männer ohne großen Aufwand verfügbar sind dafür.
            Wenn man sich beispielsweise auf Plattformen für Sex-Kontakten umsieht und einfach die Zahl der jeweiligen Profile vergleicht ist das sehr offensichtlich finde ich. Ich vermute diese, auch in anderen Kontexten und im „real life“ oft sehr offenbare starke Asymmetrie, trägt einen großen Teil dazu bei, dass Frauen Prostitution kaum nachfragen.

          2. Hallo Katrin,
            Du stellst in deinem Kommentar die folgende Frage:
            „Warum gehen Männer denn zu Prostituierten, wenn ihr sexuelles Erleben, um deine Worte zu benutzen “sehr erfüllt und frei” ist?“

            Ich habe mir dazu ein paar Gedanken gemacht. Zunächst mal
            danke für den von dir verlinkten Artikel auf dem Blog von Huschke Mau. Die darin beschriebene Realität der Prostitution macht mich fast sprach- und fassungslos – das „fast“ steht da, weil ich schon mehrere solcher Artikel und auch Bücher diesbezüglich gelesen habe, welche genau diese Realität beschreiben. Die Kernaussage in Blogbeitrag ist ja ungefähr diese: wir leben in einer „Gesellschaft, die glaubt dass Männer ein Recht auf Sex haben, unter allen Umständen, auch wenn das heisßt, dass eine Frau dazu gezwungen wird“.
            Für mich zwängt sich die Frage auf, wieviel es bei Prostitution wirklich um Sex, also um Lust, Erregung, Intimität…geht und wo eben nur um (männliche) Macht über eine (mehr oder minder abhängige, da käuflich gemachte) Frau.
            Bei sexualisierter Gewalt heißt es ja auch explizit „sexualisierte“ und nicht „sexuelle“ Gewalt, denn es geht nicht vorrangig um Sex, dieser ist nur das Mittel zur Ausübung von Gewalt/Macht.
            Und der Blogbeitrag bestätigt es ja in gewisserweise hier: „Prostitution ist die Folge von Gewalt gegen Frauen, ist selbst Gewalt gegen Frauen und ist Ursache von Gewalt gegen Frauen.“

            Deswegen finde ich es schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, über die Anwesenheit von Prostitution und fast ausschließlich männlichen Freiern raus zu finden, ob Sexualität von Männern erfüllend ist oder nicht. Ich meine da werden Sachverhalte vermischt, die nicht zwangsläufig kausal sind.
            Dass andersherum unsere Welt davon dominiert wird, wie männliches (sexuelles) Vergnügen bestmöglich erreicht werden kann, wird ja auch in dem Artikel, der in der Episode 92 verlinkt wurde, schön beschrieben (http://theweek.com/articles/749978/female-price-male-pleasure).
            Aus dem Grund frage ich mich auch, ist es tatsächlich notwendig und wichtig, noch mehr über männliche Sexualität und deren Freiheit, Bedürfnisse etc. zu reden/spekulieren, oder fügen wir uns damit nur weiterhin wunderbar in patriarchale gesellschaftliche Strukturen ein?

            Ich finde es jedenfalls sehr gut, dass in Episode 92 noch einmal auf diese Episode hier eingegangen wurde. Mich hat Episode 91 aufgrund der esoterischen Tendenzen auch sehr irritiert und finde es toll, wie das hier durch teils sehr aufschlussreiche Kommentare aufgearbeitet wurde. Tolle Arbeit, danke! =)

            Liebe Grüße
            Carry

    4. Es gab mehrere Stellen, wo sie klar sagt, dass sie über persönliche Erfahrungen spricht. Wenn wir permanent, sobald wir über ein Thema, wo es um unsere persönlichen Erfahrungen geht, hinter jeden Satz „meiner Erfahrung nach“ hängen würden, wäre das sehr sehr mühsam. Wir alle argumentieren häufig aus unserer eigenen Erfahrung heraus. Dabei stellen die einen fest, dass die Bahn ständig unpünktlich, die anderen, dass Drogen nehmen total ungefährlich ist.
      Im feministischen Diskurs wird immer wieder gefordert, dass man individuelle Erfahrungen nicht kleinreden solle mit „ist halt ne individuelle Erfahrung, aber die Mehrheit macht ja ganz andere“. Unter dieser Prämisse finde ich es absolut legitim, sich Ilans Sicht auf die Dinge anzuhören. Das bedeutet ja nicht, dass damit keine andere Sichtweise zulässig ist.
      Bei der Sexarbeitsdiskussion kommt immer sehr schnell das Argument „Ja klar, Edelpuff, totale Ausnahme, „echte“ Sexarbeit sieht aber ganz anders aus.“ Sehr ähnliches erlebe ich, wenn ich aus meinem Alltag als Ingenieurin berichte, dass mir tatsächlich wenig Sexismus bei der Arbeit begegnet. Da werden dann auch gerne ähnliche Argumente ausgepackt, warum es in meiner Branche vergleichsweise gute Bedingunen gibt, aber viele andere Ingenieurinnen schlimme Arbeitsbedingungen haben. Die leugne ich überhaupt nicht. Aber deshalb sind meine guten Erfahrungen trotzdem existent und auch legitim.

  9. Ich muss sagen, ich finde es schon sehr bezeichnend, dass ich hier erst darüber aufgeregt wird, dass Ilan ja so verallgemeinert und alle Männer über einen Kamm schert – und dann wird ein paar Kommentare weiter aber dasselbe mit Frauen beim Thema Esoterik gemacht. Und das, wie ich finde, auch noch auf eine sehr herablassende Weise.

      1. Dass Frauen „mehr“ auf Esoterik ansprechen, mag sein. Deswegen sind es aber noch nicht „viele“, wie du oben geschrieben hast und das ist die Verallgemeinerung, die ich meine.
        Außerdem bleibe ich dabei, dass es für mich ziemlich herablassend rüberkam und ich frage mich, ob das wirklich sein muss.

        1. Ich glaube Herablassung ist für mich einfacher auszuhalten und vermutlich auch immer noch gesellschaftsfähiger, als die Wut auszudrücken, die ich dabei empfinde, wenn ich sehe wie gerade auch Frauen, die es wirklich besser wissen könnten, ihr Geld, ihre Zeit und ihre Energie irgendwelchen Scharlatanerien hinterherwerfen und wie akzeptiert das ist.

          1. Nur um das mal kurz klarzustellen: Dein kritischer Blick auf Esoterik ist es nicht, der mich stört. Ganz im Gegenteil, ich bin selber so.

  10. Ich habe mir nochmal die Diskussionen hier bezüglich der Verallgemeinerung von Ilan durchgelesen und ich bin hin- und hergerissen.

    Einerseits glaube ich die Motivation und die Erfahrungen, die dahinterstehen nachvollziehen zu können. Katrin hat es schon mehrfach sehr gut beschrieben, wie schwierig für viele Mädchen und Frauen die ersten sexuellen Erfahrungen sind. Überladen von Erwartungsdruck, von Machogehabe, von Gefallen-müssen und von überkommenem „Frau muss schicklich sein, sonst ist sie eine Schlampe“-Denke. Und wenn ich mir so manchen meiner Geschlechtsgenossen vor Augen führe, denen zu begegnen ich das zweifelhafte Vergnügen hatte, dann kann ich gut nachempfinden, dass viele Frauen belastende sexuelle Erfahrungen machen, die auch massiv das Selbstbild ins Wanken bringen können.
    Dann sind natürlich so Aussagen wie von Caitlin Moran „wir sollten Männern beibringen wie man fickt“ ein Befreiungsschlag. Einerseits für diejenigen Frauen, die unter der gern propagierten und sehr gern eingebildeten „sexuellen Dominanz der Männer“ leiden, oder auch unter einer zu großen Zurückhaltung in Bezug auf die eigenen sexuellen Wünsche. Andererseits für diejenigen Männer, die über ihr Platzhirschgehabe ihre eigenen Bedürfnisse und individuellen Vorlieben gar nicht erst sehen und entdecken, oder auch als nicht-Macho sich ihres vermeintlichen nicht-genug-männlich-Seins schämen.

    Die andere Seite der Medaille ist für mich, dass so pauschale Aussagen, die zwar aus ihrem Kontext heraus verständlich sind, letztlich doch irgendwie in der Mann-vs-Frau-Denke verharren. Stereotypen werden nicht gesprengt, sondern neu geschrieben. Vom dominanten Mann, zum sexuell Behinderten, von der devoten Frau zur Meisterin der supervieldimensionalen Meisterin der Sex-Esktase. Baut das nicht erneut Erwartungshaltungen und Druck auf?
    Extrem selten (überhaupt?) fiel im Interview mit Ilan der Begriff der Kommunikation, die Notwendigkeit des miteinander Redens in einer sexuellen Partnerschaft – in Respekt, Offenheit und Vertrauen. Stattdessen Selbstfindungssprech hin zur dritten Dimension. Baut nicht auch das neuen Druck auf?

    So extrem viele Menschen passen nicht auf die Stereotypen. Seien es alte oder neue. Und sehr viele Menschen haben auch nie die negativen Erfahrungen gemacht, aus denen sich viel der Rhetorik über verkorkste Männer und sexuell inkompetente Frauen speist. Viele erleben ein vertrauensvolles Miteinander, bei dem sich aneinander herangetastet und im guten Fall auch miteinander über die eigenen Wünsche und Abneigungen gesprochen wird. Das ist in meiner Wahrnehmung der Versuch, das Individuum an die erste Stelle zu setzen – nicht die Geschlechtszugehörigkeit (die natürlich trotzdem eine Rolle spiel).

    Ich weiß – ich habe jetzt teilweise sehr zugespitzt. Aber der langen Rede kurzer Sinn ist, dass man mit der teils extrem pauschalisierenden Sprache sehr leicht die eigene Sache diskreditiert. Zu leicht wird dann schlecht geredet, was eigentlich gut läuft. Zu leicht werden dann Menschen in ein Rollenbild gedrängt, von dem sie sich schon längst emanzipiert haben oder für die das ohnehin einfach nur eine merkwürdige Antiquität ist. Zu leicht provoziert man da Hass auf Feminismus, weil solche Aussagen natürlich leichter falsch verstanden werden. Und bei denen, die sich nicht gleich angegriffen fühlen, ist es dann vielleicht ohnehin ein „preaching to the converted“.

    1. ja, du hast Recht. diese Gefahr besteht und deswegen ist es mir auch wichtig – und ich bin auch so dankbar! – dass wir hier anders diskutieren können.
      weil ich genau diese Zuspitzung ja auch gut kenne.

      „Extrem selten (überhaupt?) fiel im Interview mit Ilan der Begriff der Kommunikation, die Notwendigkeit des miteinander Redens in einer sexuellen Partnerschaft – in Respekt, Offenheit und Vertrauen. Stattdessen Selbstfindungssprech hin zur dritten Dimension. Baut nicht auch das neuen Druck auf?“

      das kann gut sein.
      ich nehme viel mit von dir, Anne und TheMiddlist, danke euch

  11. Ich habe mit großem Interesse und Engagement den Podcast über Sexarbeit gelesen. Am liebsten wäre ich gleich in mein Smartphone gestiegen und hätte mitdiskutiert, was immer ein gutes Zeichen ist. Nach einem euphorischen ersten Teil dachte ich jedoch in der zweiten Hälfte irgendwann mal: hä?! Doch von Anfang an.
    Ilans Beschreibung ihres Weges zur Sexualität, bei der Sexarbeit und Momente der Promiskuität eine Rolle hin zur Befreiung gespielt haben, fand ich unheimlich spannend und hat mich an meinen eigenen Weg erinnert, der allerdings ganz anders war: mein Erlebnis einer Befreiung ging damit einher, dass ich begonnen habe, mich als asexuell und aromantisch zu identifizieren. Was sehr aktiv klingt, war natürlich eher eine Erkenntnis, dass es irgendwie schon immer gewesen ist. Damals war ich Mitte 20 und hatte erst eine Beziehung in meinem Leben gehabt (eine sexuelle, mit einem Mann). Ein Desinteresse oder Unwohlsein war also auch vorher schon vorhanden, aber dennoch habe ich daran festgehalten, dass ich doch „normal“ sein müsse, und „normal“ heißt gesund, reif und vor allem: sexuell (und romantisch) interessiert. Das mit der Reife und Normalität habe ich in meiner Beziehung auch ganz gut hinbekommen, und es war auch sehr schön, mal „normal“ erwachsen zu sein. Nur: wirklich echt hat es sich nicht angefühlt. Wahrzuhaben, dass ich asexuell bin, kam also einem Loslassen gleich: dem Loslassen einer Norm, mit der ich mich nie wohlgefühlt habe, und dem Loslassen eines sexuellen Interesses, das hervorzubringen ja schon eher Arbeit als alles andere für mich war. Mein Outing (vor mir selber) habe ich also insgesamt als große Befreiung, als Empowerment erlebt, nicht zuletzt auch in sexueller Hinsicht. Das klingt vielleicht paradox, aber wenn man Sex nichts abgewinnen kann, erscheint die Möglichkeit, einfach keinen Sex haben zu dürfen, als sexuelle Freiheit.
    Als Ilan also später dargelegt hat, woher der Hass auf die Hure kommt, und erläutert hat, dass die Hure ein Archetypus der befreiten Frau ist, der im Gegensatz zur Ehefrau steht, musste ich an den anderen Archetypus, den der geweihten Jungfrau (oder Nonne, im Christentum) denken: auch diese Figur befreit sich aus dem Besitz durch einen konkreten Mann, indem sie sich einem höheren Wesen weiht. Ein anderer Weg der Befreiung, aber meines Erachtens einer, der oft unterschätzt wird, und der vor allem seit der Neuzeit massiv angegriffen und/oder ins Lächerliche gezogen wird: wer erinnert sich nicht an das Schimpfwort der „alten Jungfer“?

    Diese „Freiheit von Sex, wenn man nicht will“, hat Ilan sehr viel später noch einmal erwähnt. Irgendwann sagte Katrin; „Ich dachte mal, ich sei asexuell, denn das war der einfachere Weg statt zu sagen: ich muss mal eine Therapie machen“, und ich dachte nur: WTF?? Entweder hat sie ein nicht ganz so richtiges Konzept von Asexualität oder sie kann sich nicht in Asexuelle einfühlen. Ich habe – eher selten, aber immer mal wieder – gehört, sich als asexuell zu outen sei leichter als zB als homosexuell. Ich kann das ehrlich nicht nachvollziehen und es entspricht weder meiner noch der Erfahrung vieler Asexueller, die sich in Foren zu Wort melden. Im Gegenteil: viele haben bereits eine Therapie hinter sich, und viele andere wollen genau deswegen keine Therapie wegen psychischer Probleme machen, weil sie fürchten, dass ihre sexuelle Orientierung als „Problem herauskäme“. Ich habe das selbst schon erlebt. Ein leichter Weg ist das sicher nicht.

    Ich bin der Meinung, dass, wie oben ausgeführt, Asexualität, eine asexuelle Perspektive, nicht nur nicht unvereinbar mit dem ist, worüber Ilan spricht, sondern dass diese Perspektive vieles von dem sogar stützen könnte. Insofern fand ich es etwas schade bzw. verstörend, dass Asexualität dann so kontextlos bzw, sogar tendenziell als Widerspruch erwähnt wurde.
    Das nur als Anmerkung und Rückmeldung zu einem sehr spannenden Podcast.

    1. Hallo Julia,

      du schreibst:

      „Diese „Freiheit von Sex, wenn man nicht will“, hat Ilan sehr viel später noch einmal erwähnt. Irgendwann sagte Katrin; „Ich dachte mal, ich sei asexuell, denn das war der einfachere Weg statt zu sagen: ich muss mal eine Therapie machen“, und ich dachte nur: WTF?? Entweder hat sie ein nicht ganz so richtiges Konzept von Asexualität oder sie kann sich nicht in Asexuelle einfühlen. Ich habe – eher selten, aber immer mal wieder – gehört, sich als asexuell zu outen sei leichter als zB als homosexuell. Ich kann das ehrlich nicht nachvollziehen und es entspricht weder meiner noch der Erfahrung vieler Asexueller, die sich in Foren zu Wort melden. Im Gegenteil: viele haben bereits eine Therapie hinter sich, und viele andere wollen genau deswegen keine Therapie wegen psychischer Probleme machen, weil sie fürchten, dass ihre sexuelle Orientierung als „Problem herauskäme“. Ich habe das selbst schon erlebt. Ein leichter Weg ist das sicher nicht. „

      Ich glaube, wir denken das gleiche, aber offenbar ist bei dir anders angekommen, was ich gesagt habe.
      Ich war in einer Beziehung sexuell so unglücklich, dass ich keinen Sex mehr wollte und dass es sich als die von dir beschriebene Befreiung angefühlt hat, zu sagen: Ich bin asexuell. Weil es nämlich die Last von meiner Schulter genommen hat, zu denken: Mit mir stimmt was nicht. „Mit dir stimmt was nicht“ war nämlich, was ich von anderen IMMER und IMMER wieder zu hören bekam. Und ich war in meinem Herzen sicher: DAS stimmt nicht. Ich bin okay. Und so musst du diesen Satz auch einordnen. Die Alternative war eine Therapie, ja, denn das war, was meine Außenwelt von mir erwartete, denn „mit dir stimmt ja was nicht“.
      Insofern war für mich die Position, asexuell zu sein, die leichtere Alternative und ich habe es für mich angenommen. Um Frieden haben zu können.
      Ich BIN nicht asexuell, insofern kann ich nicht aus einer asexuellen Position heraus sprechen. Ich kann nur meine Geschichte erzählen. Und die ist so.
      Damit will ich überhaupt nicht relativieren oder infrage stellen, welche leidvollen Erfahrungen Asexuelle machen. Vielleicht hätte ich mir den Einwurf sparen sollen, wenn ich ihn nicht besser einordne, aber als Widerspruch war er gar nicht gemeint! Sondern als Ergänzung zu der Frage: Wie kann man sexuell frei sein? Auch für mich war das ein Weg mich zu befreien. Zumindest ein Teilstück des Weges, nämlich einfach diese Last von meiner Schulter zu nehmen.

      ich weiß seit ein paar Jahren sicher, dass ich nicht asexuell bin (wenn man die übliche Definition nimmt, dass man dies ein Leben lang ist und bleibt). Insofern ist es einfach auch unzulässig gewesen das so zu nennen, aber ich sage ja auch: ich DACHTE lange, ich sei es. Weil die einzige Möglichkeit war, mich zu entlasten.

      Liebe Grüße und danke für deine Perspektive!

  12. Esoterik hin oder her, ich fand es extrem erhellend wie Illan – ausgehend von ihren persönlichen Erfahrungen – den Zusammenhang von historischen Machtstrukturen inkl. Doppelmoral mit den Bildern in unseren Köpfen skizzieren konnte. Und wie drastisch dies das reale Verhalten von Männern und Frauen gleichermaßen beschneidet! Danke für das inspirierende Gespräch.

  13. Dafür, dass Ilan so hoch sensibel ist knallt sie ein schlagwort und themenkomplex nach dem anderen raus. Ich bin erstaunt über die geschwindigkeit, dass bin ich bei den Moderatorinnen gar nicht gewohnt. Und verleitet dadurch schnell zum pauschalisieren und ungenauigkeit in der sprache. So spannend und anregend es auch ist. Ist es auch im uebertragenen Sinne ein guter Spiegel zum Thema. Ich würde mich freuen Hydra selbst mal zu dem tema zu hören, statt ausschließlich ilan.
    Am 22.-27.7.2019 ist sexarbeit-respekt aktion am washingtonplatz.
    Und ich hab die bitte, dass in die linkliste http://www.ban-ying.de/verantwortlicherfreier/
    aufgenommen wird.
    Dass esotheriker_innen sich zum Feminismus bekennen ist nicht so oft u es freut mich, wenn dadurch mehr Frauen und Menschen zugang zum politisch verantwortlichen handeln bekommen. Das mag ich sehr! Merci und danke für die Arbeit!!

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